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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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aufbrechen und tun, was ich tun kann.
    Ich hoffe, Euch allen geht es gut. Ihr seid das Einzige, was mir von meinem beschissenen früheren Leben fehlt. Ich bin so froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Ich wünschte, ich hätte ein paar Fotos von Euch.
    Macht’s gut!
    Bernhard
    Ich hätte Bernhard gern Fotos geschickt, aber er hatte keinen Absender angegeben. Der Brief war in Rio de Janeiro abgestempelt, und ich vermutete, dass im Herzen des Regenwaldes keine Postboten unterwegs waren.
    * * *
    »Sie nennen mich DER FURZ!«, nörgelte Matthias und räumte weitere Bücher aus der Kiste ins Regal. Er sortierte sie alphabetisch.
    »Das ist doch nur ihre Art von Humor«, sagte Susann, »das muss man nicht so ernst nehmen. Und ganz abgesehen davon: Hast du denn überhaupt mal ernsthaft versucht, mit ihnen auszukommen?«
    »Ich renne zumindest nicht herum und gebe ihnen beleidigende Spitznamen!«
    »Das könnten sie schon ab«, lächelte Susann. »Im Ernst: Sie wirken vielleicht etwas unnahbar, aber sie sind alle echt dufte Typen!«
    Matthias rümpfte die Nase: »Dufte Typen, mh? Also: Wir haben da ein fast noch minderjähriges Elternpaar, bei dem der Vater ständig dumme, sexistische Witze macht und die Mutter die Angewohnheit hat, ihren Freund zu schlagen …«
    »Die albern doch nur herum …«
    »Wir haben einen Typen, der einfach alles zum Kotzen findet, Drogen raucht und sich die Augen schminkt …«
    »Piet ist …«
    »Ja, ja … Piet, Piet …«, nölte Matthias. »Gegen den darf ja sowieso niemand etwas sagen. Der ist ja heilig . Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen, du wärst verknallt in ihn!«
    Susann riss den Mund auf, wollte mit größtmöglicher Vehemenz protestieren, doch ehe sie das perfekte Widerwort fand, war Matthias bereits beim nächsten Kirschkernspucker angekommen.
    »Und«, redete sich Matthias langsam in Rage, »dann ist da noch die kleine Tunte, die …«
    » Was sagst du?«, zischte Susann.
    »Na, dieser Sven. Der ist doch schwul, oder?«
    Susann sah Matthias nur an, mit einem Blick, der Löcher in Steine brennen könnte.
    »Ich …«
    Matthias wurde nervös. Susann starrte ihn weiterhin nur durchdringend an, die Augen zu kleinen Schlitzen verengt, und Matthias war klug genug, um zu wissen, dass jedes falsche Wort ab sofort katastrophale Folgen hätte.
    »Hör mal«, sagte er in einem, wie er hoffte, einlenkenden Tonfall. »Ich habe mich doch nicht in deine Freunde verliebt, sondern in dich! Du …«
    »Warum?«, fragte Susann.
    »Wie, warum?« Matthias sah sie verwirrt an.
    »Warum hast du dich in mich verliebt?«, fragte Susann – und ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass Floskeln und Ausflüchte an ihr abprallen und zerbröselt zu Boden fallen würden.
    »Ich … du …«
    »Glaubst du wirklich, ich passe in deine alphabetisch sortierte Welt? Glaubst du, ich will einen Typen, der andere Menschen schon nach dem ersten Eindruck abkanzelt, der alles und jeden nur kurz mustert, abhakt und in eine Schublade steckt? Das kannst du doch nicht ernsthaft glauben, oder?«
    Matthias stammelte. »Warum streiten wir uns denn überhaupt? Ich … ich meine, ich liebe dich. Das ist es doch, was zählt … Wir … das andere sind, ich meine, das sind doch nur deine Freunde, das ist doch nicht so wichtig. Ich …«
    Susann sah ihn eisig an. »Nicht wichtig?«, murmelte sie, erhob sich und ging aus dem Zimmer, erhaben und leise mit den Ohrringen klingelnd. »Nicht wichtig?«
    »Susann ….«, rief Matthias und wollte ihr hinterhergehen. Doch er blieb kapitulierend stehen, als er sie aus dem Flur sagen hörte: »Weißt du, sie haben Recht. Du BIST ein Furz!«
    * * *
    Ich glaube, es war eine Botschaft. Ein Zeichen. Ein Omen. Zumindest glaubte ich das damals, denn ich hatte gerade eine Pfeife grünen Libanesen geraucht und war deshalb ziemlich anfällig für okkulte Gedankengänge. Aber noch heute finde ich, dass es zumindest ein extrem erstaunlicher Zufall war.
    Ich saß in meinem WG-Zimmer und las Bernhards Brief. Wieder einmal. Mindestens einmal pro Woche nahm ich ihn zur Hand. Und immer blieb ich an der Stelle kleben, in der der glückliche Bernhard schwärmte, wie viel es zu tun, zu entdecken, zu erschaffen gab. Manchmal hatte ich den Eindruck, diese Worte waren ganz speziell an mich gerichtet. Eine punktgenaue Botschaft. Denn seit ich vor acht Wochen mein Abitur abgeliefert hatte, das zur Freude meiner Eltern und meiner eigenen großen Überraschung einen gar nicht

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