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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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sind!« – nur um mich später immer zur Seite zu nehmen, mir einen ziemlich unangenehmen, fetten Kuss aufzudrücken und zu mahnen: »Piet, du passt auf dich auf, ja? Mach deine Erfahrungen, aber mach sie so, dass Papa und ich davon nichts mitbekommen müssen. Aber was rede ich. Du bist sowieso zu intelligent, um dir freiwillig deine Zukunft so früh zu verbauen.«
    So heftig, wie ich die Zuneigungsbekundungen meiner Mutter damals abwehrte, so unsicher war ich auch, was die Sache mit meiner angeblichen Intelligenz anging. Immerhin: Im Gegensatz zu meinen Mitbewohnern schien ich noch einen Rest von Vernunft zu besitzen. Als Narc zum Beispiel einmal beschloss, die Wände des Badezimmers (in dem wir anderen gerade vollkommen betrunken in der lauwarmen und halb vollen Wanne hockten) zu ›streichen‹, benutzte er dafür vier Sprühdosen, drei schwarze und eine pinkfarbene. »Ich heb ab, davon wirste ja echt high!«, freute sich Det, der neben mir saß. Und auch Narc und Smash atmeten unverzüglich so tief ein, wie es nur ging. Ich war es, der die glorreiche Idee hatte, das Fenster zu öffnen; ohne diesen Geistesblitz wären wir wohl alle qualvoll erstickt.
    Verglichen mit den anderen Kirschkernspuckern war ich aber natürlich ein echter Chaot. Susann war, wie gesagt, auf dem Hippie-Trip. Der bestand allerdings nicht einmal ansatzweise darin, dass sie den bürgerlichen Konventionen abschwor, sondern bloß darin, dass sie einfach dieses plüschig-bunte Design mochte, dass sie die Pling-Pling-Musik von Gong und Ravi Shankar liebte, Jasmintee trank, Illuminatus und Die unendliche Geschichte las und ernsthaft glaubte, dass Patentrezept gegen den globalen Wahnsinn bestünde darin, dass sich alle Menschen einfach permanent knuddeln und herzen sollten. Ehrlich: Sie war so brav, wie man nur sein konnte, schickte sich an, ein 1-Komma-X-Abitur zu machen (ein Vorsatz, den ich schon vor geraumer Zeit dem wesentlich pragmatischeren: »überhaupt Abitur machen« untergeordnet hatte) und glaubte entgegen aller Hippie-Ideale nicht an die freie Liebe, sondern an die dogmatische Zweierkiste.
    Während ich den alten Spruch Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment! beherzigte und das oberflächlichste, besinnungsloseste und sprunghafteste Liebesjahr meines Lebens absolvierte, hatte sich Susann einen festen Freund zugelegt. Ein halbes Jahr war sie schon mit ihm zusammen! Ich habe seinen Namen vergessen, aber er war ein so sensationell öder Typ, dass wir alle (außer Susann natürlich) ihn nur ›der Furz‹ nannten.
    Der Furz absolvierte gerade seine Bundeswehr-Grundausbildung, wollte danach BWL studieren und wohnte an den Wochenenden in einer Dachwohnung im Haus seiner Eltern. Wenn er irgendeine Charaktereigenschaft besessen haben sollte, hatte er sie sehr gut versteckt. Zwei-, dreimal hatte Susann den Furz am Wochenende mitgebracht, wenn wir Kirschkernspucker etwas Gemeinsames unternahmen – aber da niemand ein Thema fand, das man mit ihm bereden konnte, stand er immer nur wie ein Schluck Wasser neben uns und verzichtete dann irgendwann dankenswerterweise auf unsere Gesellschaft.
    Allzu oft kam es ohnehin nicht mehr vor, dass wir Kirschkernspucker in voller Mannschaftsstärke zusammentrafen. Dille und Petra waren voll in ihrer Familienrolle aufgegangen und nahmen das Angebot ihrer Eltern, den kleinen Jan zu babysitten, erstaunlicherweise nur selten an. Wir alle waren ein wenig auseinander gedriftet, aber keines der Bande war wirklich gerissen. Wir hatten einander schon zu viel anvertraut, als dass wir uns aufgeben wollten. Vielleicht ahnten wir auch, dass in ein paar Jahren all die Lebensexperimente vorbei sein würden, dass aus Punks, Hippies und all diesen Stereotypen wieder ganz normale Menschen werden würden. Und wenn wir dann alle mehr oder weniger unseren Platz im Leben gefunden haben würden, dann könnten wir uns wieder näher sein. Und deshalb trafen wir bis dahin – selten aber regelmäßig – immer mal wieder zusammen.
    Ich erinnere mich, dass wir einmal alle in die Rocky Horror Picture Show gingen und uns dabei gut amüsierten, dass wir eines Abends im Stadtpark ein Lagerfeuer machen wollten und von der Polizei verjagt wurden und dass wir uns an den wirklich heißen Tagen im Farmsener Freibad auf die Wiese legten. Dille und Petra nahmen ihren Knirps dann einfach mit. Und ich weiß noch, dass Susann mich immer besorgt anschaute, wenn ich bei diesen Gelegenheiten ein Dosenbier trank, mir einen

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