Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
angeblich fest entschlossen, solch vermeintlich asozialen Drückebergern unbedingt mit Hilfe des Militärs zu Zucht und Ordnung zu verhelfen. Ich hatte deshalb vor, die christliche Masche abzuziehen, von wegen Gott will nicht, dass wir töten und so. Und den Jesus-Bubi würden die mir natürlich mit meinem Hausbesetzer-Outfit niemals abnehmen.
All das erzählte ich Susann aber nicht. Wieso auch? Sollte sie sich doch freuen, dass sie mit ihrem Plan Erfolg hatte.
»Ich lege meine Schönheit in Ihre Hand, gnädige Frau«, säuselte ich affektiert.
Und Susann lachte: »Sie werden nicht enttäuscht sein, mein Herr!«
Sie begann an meinen Haaren herumzuschnippeln. »Weißt du«, sagte sie, »ich wollte, dass wir beide als Trauzeugen eine gute Figur machen. Es ist ein wichtiger Tag für Dille und Petra.«
»Klar«, grinste ich. »Und wir wissen alle, wie viel Wert Petra auf ein makelloses, rollengerechtes Erscheinungsbild legt!«
Susann verpasste mir scherzhaft einen kleinen Piekser mit der Schere in den Nacken.
»Schneide es nicht zu bieder, okay«, mahnte ich.
»Keine Angst«, beruhigte mich Susann. »Leg den Kopf mal ein bisschen schräg.«
Das tat ich. Mehr als ein bisschen. Und ich schwöre, es war keine Absicht, dass ich meinen Kopf dabei auf Susanns Brust drückte.
Ups!
Ich räusperte mich und zog den Kopf wieder zurück. Nicht allzu schnell, wie ich gestehen muss. Susann sagte gar nichts. Und ich schaute ihr nicht ins Gesicht. Doch als sie die andere Seite meines Kopfes bearbeitete, wiederholte sich das Spielchen. Absichtlich, zumindest meinerseits. Und diesmal ließ ich meinen Kopf auf Susanns Brust ruhen. Und was tat sie? Sie zögerte kurz und streichelte dann meine Wange! Ich schloss die Augen. Das Ganze dauerte höchstens eine Minute und keiner von uns sagte ein Wort. Danach hob ich den Kopf wieder an, Susann frisierte weiter, und wir taten, als ob nichts gewesen wäre. Aber, Mann, war ich durcheinander!
Als meine Schönheitsbehandlung zu Ende war, stellte ich mich vor den Spiegel im Bad und war angenehm überrascht zu sehen, dass Susann aus meinem Haupthaar-Chaos eine annehmbare Frisur gezaubert hatte.
»Sieht klasse aus«, murmelte ich.
»Ja, viel besser«, sagte Susann seltsam nüchtern.
»Willste noch’n Kaffee?«, fragte ich. »Oder vielleicht …«
»Nein«, beeilte sich Susann. »Ich muss, äh … los.«
Eilig packte sie ihre Sachen zusammen, zog ihre Jacke und Schuhe an und zischte aus der Wohnung. Wenn sie auch nur einen Hauch langsamer gewesen wäre, hätte ich ihr gern einen Kuss gegeben. Doch ich hatte keine Chance.
* * *
»Was, zum Teufel, war das?« Susann atmete tief aus, als sie aus dem Treppenhaus auf die Straße trat. In ihrem Kopf rotierte es: »War das … Flirten? Ein Vorspiel?«
Presste Piet seinen Kopf auf alle verfügbaren Brüste, oder hatte es tatsächlich mehr zu bedeuten? Er wirkte nervös. Nicht wie ein cooler Aufreißer.
Natürlich nicht. Piet war nicht cool. Nie gewesen.
Und ich? Wie fand ich das?
Oh Gott, ich fand es schön! Himmel, ich habe ihn gestreichelt!
Seit langem schon war Susann nicht mehr so verwirrt gewesen. Und schon lange hatte sie sich nicht mehr daran erinnert, dass sie einst feierlich alle Hoffnungen auf ein Glück mit Piet auf dem Balkon verbrannt hatte. Eigentlich war sie doch über ihn hinweg, oder? Andererseits, mal ehrlich: War sie heute Morgen wirklich nur zum Haareschneiden hergekommen?
Fast fünf Minuten stand Susann vor dem Haus, vorsorglich hinter einer Hausecke, damit Piet sie nicht entdecken würde, sollte er tatsächlich aus dem Fenster schauen. Sollte sie wieder hochgehen? Mmh. Das wäre dann doch irgendwie wie eine Aufforderung: »Bitte hab Sex mit mir!« Na und? Wäre doch schön, oder? Aber was dann? Galt Piets Interesse ihr als Mensch oder bloß ihr als Brustbesitzerin?
Oh Gott, ist das kompliziert!
Susann beschloss, dass sie darüber reden musste. Nicht mit Piet natürlich, sondern mit jemanden, der ihre Perspektive verstand. Eine beste Freundin wäre gut, aber so etwas hatte Susann nicht. Petra wäre jedenfalls keine große Hilfe. »Fick ihn, fick ihn nicht. Ganz wie du willst. Du bist doch erwachsen« – so oder ähnlich klänge der wertvolle Beitrag, der von der zukünftigen Frau Dilbert Kasinski zu diesem Thema zu erwarten wäre. Susann seufzte und setzte sich dann in Bewegung, in Richtung S-Bahnhof. Sie würde zu Sven fahren.
Sven war vor einigen Monaten von zu Hause ausgezogen und hatte sich eine kleine
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