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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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und Petra ein guter Mann und dem kleinen Jan ein guter Vater sein.«
    Ich zuckte zusammen: »Das ist ein Scherz, oder?«
    Dille lachte: »Klar, Mann! Ist alles bloß eine Formalität. Würde mich einfach freuen, wenn du mein Trauzeuge wärst. Ohne dich hätte ich sie vielleicht nie kennen gelernt. Und außerdem: Einer muss es ja machen.«
    »Okay«, sagte ich. »Alles klar. Dann mach ich das eben. Kein Problem.«
    Susann, erfuhr ich später, reagierte ungleich aufgeregter. Das fing schon damit an, dass sie völlig perplex war, dass Petra sie überhaupt fragte. Aber Petra wollte eine Frau, die ihr Gelübde bezeugte – und da war die Auswahl natürlich begrenzt. Die meisten weiblichen Wesen, die Petras Weg gekreuzt hatten, hatten ja eher schmerzhafte Erinnerungen an diese Bekanntschaft. Buchstäblich. Also fragte sie Susann.
    »Oooooh!«, juchzte die. »Wie toll! Gern, Petra! Hoffentlich mache ich da auch alles richtig! Ist das aufregend! Und, oh Gott, was ziehe ich bloß an? Was ziehe ich um Himmels willen an?«
    »Scheißegal«, brummte Petra. »Hauptsache, du siehst nicht besser aus als ich.«

    Nur mühsam bekam ich meine verklebten Augen auf, als es klingelte. Als es zum zweiten Mal schellte, streckte ich mich knurrend und versuchte mein Bewusstsein aufs Hier und Jetzt zu justieren. Als der Störenfried vor meiner Tür dann zum dritten Mal auf den Klingelknopf drückte, länger diesmal, ein richtiges Sturmklingeln, brüllte ich laut: »Ja! Scheiße noch mal, Moment!«
    Ich warf einen Blick auf die Uhr: viertel vor neun! Wer, um Himmels willen, schellt an einem Samstagmorgen um viertel vor neun an fremden Türen?
    Es klingelte schon wieder!
    »Ja, ja, ja …«, rief ich genervt, erhob mich schwerfällig und ächzend von der Matratze und wankte schließlich zur Wohnungstür. Ich hatte Kopfschmerzen. Kein Wunder, denn ich war erst vier Stunden zuvor ins Bett gegangen, bis dahin hatte ich im Krawall gesessen, meiner Stammkneipe in der Hafenstraße. Und ich hatte dort keinen Fruchtsaft getrunken.
    Ich öffnete die Tür, bekleidet nur mit einer Unterhose und einem T-Shirt, das eine Fotomontage von Ronald Reagan zeigte, der auf einer Mittelstreckenrakete durch die Lüfte flog und dabei begeistert seinen Cowboyhut schwenkte.
    Und da stand Susann!
    Sie grinste breit, wedelte mit einem bunt bestickten Stoffbeutel und trompetete: »Halli hallo! Die Avon-Beraterin ist da!«
    »Umgnpf!«, sagte ich – was Susann nicht einmal zu entschlüsseln versuchte. Stattdessen schubste sie mich in die Wohnung, folgte selbst hinein und fing dann laut summend an, den Inhalt ihrer Tasche auf dem Küchentisch auszubreiten: zwei Handtücher, drei Scheren, ein Kamm, eine Bürste, ein Einwegrasierer, After Shave.
    »Was soll denn das?«, fragte ich brummelnd – obwohl ich natürlich eine sehr gute Vermutung hatte.
    »Wie alt bis du jetzt?«, fragte Susann.
    »Öh …«, ich rechnete: »Zwanzig.«
    »Es ist gesetzlich verboten«, lächelte Susann, »mit zwanzig auszusehen, als ob man noch pubertiert.« Sie zupfte missbilligend an meinem Strubbelkopf und schnipste seufzend gegen die Sicherheitsnadel in meinem Ohr. »Ich werde dich heute restaurieren«, tönte sie feierlich. »Ich werde dich zum Mann machen!«
    Ich war schlagartig wach.
    WAS wollte sie?
    »Ich meine«, stammelte Susann, die nun auch bemerkt hatte, dass sie etwas eindeutig Zweideutiges gesagt hatte, »ich, äh  … ich meine, ich werde heute dafür sorgen, dass du endlich wie ein Mann, äh  … wie ein Erwachsener aussiehst!«
    Ich sagte gar nichts. Ich schlurfte stattdessen zur Kaffeemaschine und setzte mir ein extra starkes Gebräu auf, während Susann ihre kosmetischen Utensilien weiter sortierte. Dann ging ich ins Schlafzimmer, hob die zerknitterte Packung Javaanse Jongens auf, die neben der Matratze lag, und drehte mir eine Zigarette. Ich zog mir, die brennende Fluppe im Mund, eine Jeans und Socken an. Als ich zurückkam und mich brav auf einen Küchenstuhl setzte, mir eines von Susanns Handtüchern über die Schulter legte und bloß sagte: »Na, dann mal los!«, war Susann völlig perplex.
    Sie konnte ja nicht ahnen, dass ich meinen Anblick in letzter Zeit selbst etwas bedenklich zu finden begonnen hatte und dass ich obendrein in zehn Tagen meinen Termin zur Gewissensprüfung in Sachen Kriegsdienstverweigerung hatte. Wenn man dort als Punk erschien, hatte ich mir sagen lassen, hätte man keine Chance: Die alten Bundeswehrsäcke, die dem Gremium vorstanden, wären

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