Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
er schon seit einem halben Jahr seine Buchhalterin poppt! Und die geht mit nach England.«
»Isnichwahr?«, staunte ich.
»Ist fast zu schön, um wahr zu sein!«, jubelte Sven.
Ich war nicht wie Sven, ich konnte mich nicht freuen. Himmel, da war eine Ehe kaputtgegangen. Das ist doch kein Grund zu jubeln.
Andererseits …
»Komm schon«, stachelte Sven mich auf: »Du hast nie aufgehört, Susann zu lieben. Wir alle wissen das. Hey, selbst Susann weiß das!«
Es stimmte. Ich bestreite es gar nicht: Ich liebte Susann immer noch. Wenn wir uns sahen, als Kumpel, hätte ich jedes Mal heulen können. Wenn ich beobachtete, dass Susann und Norbert sich küssten, sich berührten, war mir hundeelend. Und dass ich in den letzten fünf Jahren insgesamt sieben Freundinnen verschlissen hatte, ließ den berechtigten Rückschluss zu, dass ich zumindest unterbewusst alles tat, um eine Beziehung so kurz und gefühlsarm wie möglich zu halten.
»Es ist deine große Chance!«, sagte Sven. »Versau sie nicht!«
Und dann legte er auf.
An jedem anderen Tag hätte ich mich nach diesem Anruf hingesetzt und gegrübelt. Ich hätte gegrübelt und gegrübelt. Ich hätte Schritte erwogen, mit Worte zurechtgelegt, Konsequenzen überdacht. Und dann hätte ich noch mehr gegrübelt. Und weiter gezögert. Und im Endeffekt hätte ich nichts, aber auch gar nichts getan.
Doch dieser Tag war anders!
Narcs Bestseller, Bernhards Brief – es war wie ein göttliches Zeichen! Mit äußerster Brutalität hatte mich das Schicksal an diesem 9. Oktober kopfüber in die Erkenntnis getaucht, dass ich bislang versagt hatte. Dass mein Leben gepfuscht war. Eine dreißigjährige Abfolge von Feigheiten. Aber diese beiden – Narc und Bernhard – waren der Beweis, dass es auch anders ging. Diese beiden riefen: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt! Und es ist vielleicht keine tiefsinnige Erkenntnis, keine Weisheit, die mit den Losungen des Lao-Tse konkurrieren könnte, doch es waren diese sechs Wörter, die mir an diesem Tag, in dieser Situation durch den Kopf schossen: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Tu was, Piet!
Trau dich!
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!
Jawohl! Piet Lehmann fällt eine Entscheidung! Piet Lehmann traut sich! Piet Lehmann lässt diese Chance nicht verstreichen!
Ich zog mir Jacke und Schuhe an, und dann rief ich mir ein Taxi. Ich hatte Angst, dass mich auf einer langen U-Bahnfahrt der Mut wieder verlassen könnte.
Fünfzehn Minuten später stand ich vor Susanns Haustür. Fast hätte ich, kurz bevor mein Zeigefinger den Klingelkopf erreichte, noch den Schwanz eingezogen. Doch dann zwang ich mich mit aller Macht zur Entschlossenheit und drückte!
Bing Bong! Schicksalsglocken.
Plötzlich fiel mir ein, was das letzte Mal passiert war, als ich unangemeldet an Susanns Tür geklingelt hatte. Oh Gott! Hatte ich eben gerade den Startschuss zu einer erneuten Katastrophe gegeben? Doch für eine Flucht war es nun zu spät. Die einzige Flucht, die mir blieb, war die Flucht nach vorn.
Susann öffnete die Tür. Und ich öffnete unverzüglich den Mund. Ich hatte mittlerweile so viel Adrenalin und Hormone in mein System gepumpt, dass ich auf Autopilot lief. Ich hatte mich dermaßen in die Vorstellung von Mut und Spontaneität hineingesteigert, dass ich die Kurve zum rationalen Verhalten nicht mehr kriegte. Es ist mir peinlich, aber dies ist, was ich sagte: »Heirate mich!«
Ehrlich!
Kein Hallo, kein Zögern.
Ich sagte einfach nur: Heirate mich!
Susann war sprachlos. Und wer wollte ihr das verdenken?
»Heirate mich?«, wiederholte ich. Und die Tatsache, dass ich meine Stimme bei der letzten Silbe etwas anhob, signalisierte, dass ich mich selbst, während ich sprach, fragte, ob ich eigentlich noch ganz dicht sei.
»Bist du betrunken?«, hegte Susann denn auch prompt den nächstliegenden Verdacht.
»Nein«, sagte ich. Und plötzlich platzte es aus mir hinaus: »Ich bin verliebt! Ich bin verliebt in dich ! Ich liebe dich! Ich weiß, es sieht furchtbar plötzlich aus, unüberlegt, verrückt! Aber ich denke seit Jahren an nichts anderes als an dich, an uns. Ich … Ich liebe dich! Ich liebe dich! Heirate mich!« Und dann schossen mir Tränen in die Augen. Tränen der Aufregung, des Glücks, der Angst, einer Vorahnung des Schreckens, dass Susann auf diese erste wirklich mutige Tat meines Lebens ablehnend reagieren könnte. Und trotz der Tränen sah ich dann plötzlich Norbert aus dem Wohnzimmer kommen!
Was machte der denn hier?
»Ich …
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