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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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Recht darauf, unglücklich zu sein.‘ ‚Na gut‘, sagte der Wilde trotzig, ‚ich verlange das Recht darauf, unglücklich zu sein.‘“
    Aldous Huxley: Schöne neue Welt
    Wir haben anhand einer kritischen Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit den psychischen und sozialen Phänomenen aufzuzeigen versucht, dass das Thema Depression die medizinischen und psychiatrischen Aspekte weit übersteigt. Wie Depression verstanden wird, welche Empfindungen und Verhaltensweisen mit diesem Etikett versehen werden, ob und wie ihren Ursachen nachgegangen wird, entspringt einem Verständnis vom Menschen, einem Menschenbild, das diesem jeweiligen Zeitgeist angepasst ist. Elisabeth Wurtzel zeigte auf, dass um das soziale und individuelle Problem der Depression eine ganze „(Jugend-)Kultur der Depression“ entstanden ist, die in der Entwicklung des populärkulturellen Ausdrucks und in Symbolfiguren wie Kurt Cobain ihre Repräsentanz gefunden hat. Wir hoffen, dass es uns gelungen ist aufzuzeigen, dass auch die Art und Weise, wie Depressionen als Krankheiten definiert und wie dann diese Krankheiten behandelt werden, von zeitgeistigen Strömungen – die es ja auch in der Psychiatrie gibt – beeinflusst werden. Vielleicht hat Alain Ehrenberg recht – vielleicht hat wirklich die Depression die Neurose als Volkskrankheit abgelöst. Und vielleicht repräsentiert dieser Wandel der epochentypischen Krankheitsphänomene wirklich auch eine Veränderung, die aus der Stellung des Individuums in der Gesellschaft resultiert. Ehrenberg meinte ja, dass im Gegensatz zurNeurose, die aus dem Konflikt zwischen gesellschaftlichen Zwängen und individuellen Wünschen entstehen, die Depression „die Krankheit der Freiheit“ sei, die das Individuum aufgrund der bestehenden Überfülle an Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung befalle und es in die „narzisstische Erschöpfung“ treibe.
    Die Prognosen der Weltgesundheitsbehörde eröffnen auf jeden Fall ein Katastrophenszenario: Es wird eine steigende Anzahl von Depressiven geben; Depression aber ist gefährlich und manchmal tödlich, sie ist kostspielig, belastet die Ökonomie der Länder, des Gesundheitssystems und die Systeme der sozialen Leistung.
    Wir orten in dieser gesellschafts- und gesundheitspolitischen Problematik Fallen, die wir dem Oberbegriff „Depressionsfalle“ zuordnen. Die Entwicklung seit den 80er Jahren hat dazu geführt, dass sich eine große Fallgrube eröffnet hat, in die Industrie, Forschung, wissenschaftliche Publikation, Medizin und Psychiatrie, Gesundheits- und Bevölkerungspolitik gemeinsam mit den Patienten, die an Störungen des Gefühlslebens leiden, gestürzt sind. Die Auswirkungen dieses Sturzes sind vielfältig: Industrie, Forschung und medizinisch-psychiatrische Praxis haben viel an Glaubwürdigkeit verloren, die Gesundheits- und Bevölkerungspolitik sieht sich beängstigenden, zum Teil irrationalen Problemschätzungen und Kostenprognosen ausgesetzt, das Menschenbild hat sich verändert: Wir sollen nicht mehr Verständnis für Leiden aufbringen, die auf einer Fülle von daseinsbezogenen Einflüssen beruhen, sondern sollen in einer Welt leben, die in wachsendem Ausmaß von „Gehirnkranken“ bevölkert wird, deren Zustand durch geeignet erscheinende Manipulation des Hirnstoffwechsels normalisiert werden soll.
    Jetzt geht es darum, einen Weg zu finden, auf dem wir uns aus der Fallgrube befreien können. Dafür ist zunächst einmal notwendig, die psychiatrischen Fallen zu identifizieren.
Psychiatrische Falle 1: Das konventionelle gesellschaftliche Verständnis von Gesundheit und Krankheit – Fortschritt und Missbrauch
    Die „Psychofalle“, in die die Psychiater und ihre Patienten geraten sind, kann als unerwünschte Auswirkung des diffusen Behandlungsauftrags gelten, der aus der Gesundheitsdefinition der WHO resultiert. Die Falle öffnete sich, als die Psychiatrie sich in neuer Weise als medizinische Disziplin positionierte und dabei der Verlockung nicht widerstehen konnte, durch die Simplifizierung der Erkenntnisse über den Bezug zwischen dem Zustand des Gehirns und dem Phänomen der Geisteskrankheiten die Hoffnung auf „magische Lösungen“ zu schüren, die Erweiterung der depressiven Klientel akzeptierte und damit den Auftrag annahm, „kosmetische Korrekturen“ des

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