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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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mittelschweren Depressionen als brauchbares Medikament erschien. Nachdem Studien erschienen waren, die die Wirksamkeit der Substanzen in diesem Indikationsbereichen bezweifelten, ging es offenkundig darum, in jener Verbrauchergruppe ein Vertrauen herzustellen, die in der ersten Phase der Vermarktung der Substanz nicht angesprochen worden war.
Falle 4: Biologistische Interpretation: Depression als Hirnkrankheit
    In den USA wird gerne dahin gehend argumentiert, dass die Erkenntnis, dass die Depression eine Erkrankung des Gehirns sei, die Situation verbessert habe. Der Zustand sei verständlich geworden, er sei eben eine Krankheit wie jede andere auch, man könne die Erkrankten besser identifizieren und einer wirksamen Behandlung zuführen – und die Sozialversicherungen und Krankenkassen seien dann auch bereit, die Kosten für die Behandlung zu tragen.
    Dass diese Neuinterpretation auch ihre Schattenseiten hat und Fallen eröffnet, wird dabei aber verkannt oder verschwiegen. Geistesund Gemütskranke treffen in unserer Gemeinschaft nicht gerade auf großes Entgegenkommen, schon gar nicht, wenn ihrer Erkrankungnachgesagt wird, dass sie chronisch verläuft. Menschen, die starke Psychopharmaka einnehmen, sind ebenfalls stigmatisiert. Ihre Stigmatisierung ist eine bislang unvermeidliche Reaktion, wenn auch das Bemühen der Sozialpsychiatrie der Entstigmatisierung gilt. Kann man wirklich davon ausgehen, dass Depressive, die als Kranke bekannt werden und mit stark wirksamen Arzneimitteln behandelt werden, keine Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben? Wird ihnen nicht die Ausübung bestimmter Tätigkeiten verwehrt? Ist es abzusichern, dass sie keine Probleme mit der Lenkererlaubnis bekommen? Ist auszuschließen, dass sie wegen ihrer Krankheit gemobbt werden? Sind die Schwierigkeiten, unter denen sie zu leiden haben, nicht dann wieder geeignet, die Depression zu verstärken? Diese Fragestellungen sind von besonderer Bedeutung für die soziale Eingliederung der Jugendlichen, die als depressiv erkannt werden. Die Zunahme der Diagnose erhöht dementsprechend den sozialen Druck auf die Krankheitspopulation und läuft insofern den Zielvorgaben der Weltgesundheitsbehörde entgegen.
    Es ist natürlich möglich, dass ökonomische Überlegungen hinter dieser Entwicklung stehen. Wir haben eingangs beschrieben, dass aus der Depression eine hohe Belastung der ökonomischen Lage abgeleitet wird. Vielleicht meint man, dass Früherkennung und frühe Behandlung den Schaden begrenzen hilft. Auch dieser Vorstellung muss entgegengehalten werden, dass die Begrenzung in geringem Maß wohl möglich ist, aber eventuell durch die Folgen der Stigmatisierung, die wir vorhin aufgezeigt haben, weit übertroffen wird. Die Behandlung ist kostspielig und Folgeerscheinungen wie Jugendarbeitslosigkeit, frühe Invalidisierung, etc. sind bekannte Belastungen der Haushalte. Dass es dazu kommen kann, wird durch die derzeitige Entwicklung im Problemfeld des Burn-out-Syndroms bereits vorangekündigt.
Falle 5: Pharmaindustrie
    Die Industrie war mit der aggressiven Vermarktung der SSRI in die Falle unkontrollierten und ethisch fragwürdigen Gewinnstrebens geraten. Dadurch sieht sie sich in zunehmendem Maß Kritik ausgesetzt und auf die Dauer wahrscheinlich sehr kostspieligenSchadensersatzverfahren ausgeliefert. Den einschlägigen Websites ist zu entnehmen, in welch großem Umfang in den USA in den einzelnen Bundesstaaten derartige Klagen eingebracht werden. Innerhalb der Anwälteschaft hat sich ein neues Berufsfeld etabliert: die „SSRI lawsuite lawyers“, Rechtsanwälte, die als Spezialisten den klagenden Parteien zur Verfügung stehen.
Falle 6: Umfassende Vertrauenskrise
    Die Gewinne der Arzneimittelindustrie sind nicht zuletzt davon abhängig, dass Patienten und verschreibende Ärzte der Wirkung der Arzneimittel vertrauen und einem bestimmten Präparat die Treue halten. Die Pharmaindustrie selbst hat im Falle der Psychopharmaka dazu beigetragen, dass dieses Vertrauen erschüttert wurde. Es konnte nicht verhindert werden, dass die Bereitschaft, Profitinteressen auf Kosten der Konsumenten zu verfolgen, erkannt und in den Medien dargestellt wurde. Dadurch gerieten die produzierenden Konzerne in berechtigten Misskredit und büßten an Vertrauen ein. Wir haben ausführlich beschrieben, welch fragwürdige Praktiken und Strategien die Produktionsfirmen eingesetzt haben

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