Die Depressionsfalle
gezeigt, dass die Arzneimittel, die der psychiatrischen Praxis zur Verfügung stehen, stets in einer moralischen Zwielichtzone angesiedelt sind. Der Blick in die Geschichte der medikamentösen Behandlung der Depression lieà erkennen, dass alle Mittel, die bislang medizinisch diesem Zweck dienten, auch auÃerhalb des medizinischen Gebrauchs eingenommen wurden, um die Stimmung zu regulieren oder um ein âHighâ zu erleben. Psychiatrie und pharmazeutische Industrie sind bestrebt, diesem Dilemma zu entkommen und âmissbrauchssichereâ Arzneimittel und Anwendungsformen zu finden. Damals meinte man eben, dass die SSRI diese Anforderungen erfüllen. Da man sie für missbrauchssicher hielt, erlag man auch der Versuchung, sie breiten Kreisen â und nicht nur Gemütskranken â zugänglich zu machen. Die Psychiatrie etablierte sich in der âProzac-Ãraâ als glücks- und lustregulierende Instanz. Dadurch, dass der Eindruck erweckt wurde, dass die biologische Psychiatrie Mittel anbieten kann, die einen positiven Persönlichkeitswandel einleiten, den Leidensdruck besänftigen und es erleichtern, mit den misslichen Aufgaben des Alltags fertig zu werden, wurde sie zu einer Institution, die den Schlüssel zu uralten Menschheitsträumen zu haben schien. Diese Allmachtsfantasien bezüglich der Psychiatrie sind nicht neu, aber sie sind durch die Entwicklung der Psychopharmakologie und durch die Werbepraktiken der Arzneimittelindustrie in der âProzac-Ãraâ und den nachfolgenden Perioden gewaltig gesteigert worden.
Heute wissen wir, dass all diese Ãberzeugungen und Versprechungen nicht den realen Verhältnissen entsprechen und dass die Auswirkungen der SSRI falsch eingeschätzt wurden. Wahrscheinlichist es prinzipiell illusorisch anzunehmen, dass es jemals eine wirksame psychoaktive Substanz geben wird, die missbrauchssicher ist und keine Abhängigkeit erzeugt. Ein Mittel, das wirksam Verstimmungen behebt, die Stimmungslage verbessert, den sozialen Umgang erleichtert, entängstigt und die soziale Kompetenz fördert, ist auf jeden Fall auch auÃerhalb der medizinischen Verordnung für weite Kreise interessant.
Die Phase, in der man wieder einmal meinte, das Glücksbedürfnis der Menschen durch eine Pille befriedigen zu können, die Prozac-Ãra, ist wohl vorbei. Heute wissen wir, dass dieses Glück durch allzu viele unerwünschte Wirkungen erkauft würde. Auch ist die Natur dieses Glücks immer fragwürdig gewesen. Wurtzel schrieb, dass Prozac, von dem sie selbst sagte, dass es ihr bei der Bewältigung der Krankheit sehr geholfen habe, etwas âGeistloses sei, das nicht glücklich macht, aber Traurigkeit verhindertâ. Die Personen unter dem Einfluss dieser Substanzen sind oftmals nicht âglücklichâ, sondern âcomfortably numbâ (angenehm gefühllos), wie es in einem Song von Pink Floyd (
The Wall
) heiÃt. Die Erfahrung aus der massenhaften Anwendung der Substanz strafte Peter Kramers Eindruck Lügen, dass Prozac Menschen, die an einer depressiven Störung leiden, Lusterfahrungen ermöglicht, die âNormaleâ auch ohne Arzneimittel erleben können. Selbst die pharmazeutische Industrie bezeichnete bereits in den 1990er Jahren die frühere Strategie, SSRI als Stimmungsmodulatoren zu empfehlen, als Missgriff. Und heute sieht sich daher folgerichtig ein Journalist der Kritik vonseiten der Psychiatrie ausgesetzt, wenn er für die SSRI den Begriff âGlückspilleâ verwendet (im Statement der Deutschen Psychiatrischen Gesellschaft zu einem Feature der ARD im Februar 2012). Wie wir gezeigt haben, ist es noch nicht lange her, dass Vertreter eben dieser Disziplin die SSRI priesen, weil sie ein Glücksversprechen zu bergen schienen und eine hohe Bereitschaft zu orten war, die Antidepressiva auch psychisch stabilen Menschen zugänglich zu machen, die sich nur âbesser als gutâ fühlen wollten. Ihnen dieses Glück zu verweigern schien damals puritanisch. Sie sollten lediglich das Glück nicht auf Kosten der Krankenkassen beziehen können, sondern selbst dafür bezahlen.
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Auswege aus der Falle
â,Aber ich möchte keinen Komfort. Ich möchte Gott, ich möchte Poesie, ich möchte echte Gefahr, ich möchte Freiheit, ich möchte Güte, ich möchte Sünde.â âDas heiÃtâ, sagte Mustapha Mond, âdu verlangst nach dem
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