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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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gezeigt, dass die Arzneimittel, die der psychiatrischen Praxis zur Verfügung stehen, stets in einer moralischen Zwielichtzone angesiedelt sind. Der Blick in die Geschichte der medikamentösen Behandlung der Depression ließ erkennen, dass alle Mittel, die bislang medizinisch diesem Zweck dienten, auch außerhalb des medizinischen Gebrauchs eingenommen wurden, um die Stimmung zu regulieren oder um ein „High“ zu erleben. Psychiatrie und pharmazeutische Industrie sind bestrebt, diesem Dilemma zu entkommen und „missbrauchssichere“ Arzneimittel und Anwendungsformen zu finden. Damals meinte man eben, dass die SSRI diese Anforderungen erfüllen. Da man sie für missbrauchssicher hielt, erlag man auch der Versuchung, sie breiten Kreisen – und nicht nur Gemütskranken – zugänglich zu machen. Die Psychiatrie etablierte sich in der „Prozac-Ära“ als glücks- und lustregulierende Instanz. Dadurch, dass der Eindruck erweckt wurde, dass die biologische Psychiatrie Mittel anbieten kann, die einen positiven Persönlichkeitswandel einleiten, den Leidensdruck besänftigen und es erleichtern, mit den misslichen Aufgaben des Alltags fertig zu werden, wurde sie zu einer Institution, die den Schlüssel zu uralten Menschheitsträumen zu haben schien. Diese Allmachtsfantasien bezüglich der Psychiatrie sind nicht neu, aber sie sind durch die Entwicklung der Psychopharmakologie und durch die Werbepraktiken der Arzneimittelindustrie in der „Prozac-Ära“ und den nachfolgenden Perioden gewaltig gesteigert worden.
    Heute wissen wir, dass all diese Überzeugungen und Versprechungen nicht den realen Verhältnissen entsprechen und dass die Auswirkungen der SSRI falsch eingeschätzt wurden. Wahrscheinlichist es prinzipiell illusorisch anzunehmen, dass es jemals eine wirksame psychoaktive Substanz geben wird, die missbrauchssicher ist und keine Abhängigkeit erzeugt. Ein Mittel, das wirksam Verstimmungen behebt, die Stimmungslage verbessert, den sozialen Umgang erleichtert, entängstigt und die soziale Kompetenz fördert, ist auf jeden Fall auch außerhalb der medizinischen Verordnung für weite Kreise interessant.
    Die Phase, in der man wieder einmal meinte, das Glücksbedürfnis der Menschen durch eine Pille befriedigen zu können, die Prozac-Ära, ist wohl vorbei. Heute wissen wir, dass dieses Glück durch allzu viele unerwünschte Wirkungen erkauft würde. Auch ist die Natur dieses Glücks immer fragwürdig gewesen. Wurtzel schrieb, dass Prozac, von dem sie selbst sagte, dass es ihr bei der Bewältigung der Krankheit sehr geholfen habe, etwas „Geistloses sei, das nicht glücklich macht, aber Traurigkeit verhindert“. Die Personen unter dem Einfluss dieser Substanzen sind oftmals nicht „glücklich“, sondern „comfortably numb“ (angenehm gefühllos), wie es in einem Song von Pink Floyd (
The Wall
) heißt. Die Erfahrung aus der massenhaften Anwendung der Substanz strafte Peter Kramers Eindruck Lügen, dass Prozac Menschen, die an einer depressiven Störung leiden, Lusterfahrungen ermöglicht, die „Normale“ auch ohne Arzneimittel erleben können. Selbst die pharmazeutische Industrie bezeichnete bereits in den 1990er Jahren die frühere Strategie, SSRI als Stimmungsmodulatoren zu empfehlen, als Missgriff. Und heute sieht sich daher folgerichtig ein Journalist der Kritik vonseiten der Psychiatrie ausgesetzt, wenn er für die SSRI den Begriff „Glückspille“ verwendet (im Statement der Deutschen Psychiatrischen Gesellschaft zu einem Feature der ARD im Februar 2012). Wie wir gezeigt haben, ist es noch nicht lange her, dass Vertreter eben dieser Disziplin die SSRI priesen, weil sie ein Glücksversprechen zu bergen schienen und eine hohe Bereitschaft zu orten war, die Antidepressiva auch psychisch stabilen Menschen zugänglich zu machen, die sich nur „besser als gut“ fühlen wollten. Ihnen dieses Glück zu verweigern schien damals puritanisch. Sie sollten lediglich das Glück nicht auf Kosten der Krankenkassen beziehen können, sondern selbst dafür bezahlen.

13
Auswege aus der Falle
    â€ž,Aber ich möchte keinen Komfort. Ich möchte Gott, ich möchte Poesie, ich möchte echte Gefahr, ich möchte Freiheit, ich möchte Güte, ich möchte Sünde.‘ ‚Das heißt‘, sagte Mustapha Mond, ‚du verlangst nach dem

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