Die Depressionsfalle
dieser Ãberweisung Folge zu leisten.
Das Erstgespräch mit diesen Patienten ist gekennzeichnet von Aggression und Abwertung â teils subtiler, teils offener Abwertung all jener Ãrzte oder medizinischer Einrichtungen, die bis dato wegen der körperlichen Beschwerden (häufig sind es Schmerzen) aufgesucht wurden. Ein Patient klagt z.B. über heftige Kopfschmerzen, kann dann jedoch weder die Qualitäten der Schmerzen genau schildernnoch die Zeiten des Auftretens oder die Dauer des Anhaltens der Schmerzen. Häufig werden Wiederholungen von aufwendigen oder auch sehr kostspieligen Untersuchungen gefordert, die vor nicht allzu langer Zeit in einer anderen Einrichtung keinen krankhaften Befund erbracht haben. Diese Patienten unterziehen sich oft freiwillig wiederholten, auch unangenehmen diagnostischen Untersuchungen, bei denen körperliche âEinbahnstraÃenâ umgedreht werden, wie z.B. bei Darmspiegelungen; manche Patienten setzen durch, dass an ihnen Operationen mit fragwürdigen Indikationen durchgeführt werden. Irritationen durch von den Patienten berichtete und durchaus als belastend einzustufende Lebensereignisse oder Situationen, die möglicherweise mitverantwortlich für ihre Befindlichkeiten sind, werden zurückgewiesen oder bagatellisiert: Affekte wie Angst oder Traurigkeit seien ihnen fremd.
Eine mögliche Hilfestellung für den diagnostischen Prozess bei diesen Patienten ist ein hartnäckiges Beharren auf Antworten auf die Frage, welche Theorie sie selbst über die Ursache und das Aufrechterhalten dieser körperlichen Beschwerden, der Schmerzen, der chronischen Verstopfung beispielsweise, haben. Hier werden mitunter die âGeschichten vom Ende der StraÃeâ bemüht: Irgend ein entfernter Bekannter habe ähnliche Beschwerden oder Schmerzen verspürt, habe viele Ãrzte konsultiert, es seien viele Untersuchungen durchgeführt worden, man habe nichts gefunden, keine Ursache, keine Erkrankung, und schlieÃlich sei diese Person, sehr leidend, an einem lange Zeit unentdeckten Krebs verstorben.
So kann man sich vorsichtig an die Befürchtung der Patienten, an einer unheilbaren Krankheit zu leiden, herantasten und versuchen, diese sachlich zu relativieren. Beschwichtigen oder Beschönigen ist sinnlos und unprofessionell. Hingegen ist es oft möglich, die alten Befunde, die keinerlei Krankheitszeichen erbracht haben, durchzudiskutieren â also einen kognitiven, intellektuell verstehenden Zugang zu wählen. Dieser Zugang kann möglicherweise die Patienten doch dazu motivieren, an einem Experiment mitzuarbeiten, und sich dazu bereit zu erklären, ein Medikament, gut ärztlich kontrolliert, einzunehmen oder aber doch in regelmäÃige Psychotherapiesitzungen einzuwilligen, um diese körperlichen Beschwerden genauer zuerforschen und um zu einer genaueren Diagnose zu kommen. Das setzt natürlich eine gewisse Neugier, ein Interesse und ein bestimmtes kognitives Niveau auf Seiten der Patienten voraus, aber nicht zwingendermaÃen eine entsprechende formale Schulbildung.
Diese Patienten sind oft, wenn auch unter groÃer Anstrengung, trotz der anderen, die Depression begleitenden Symptome (Ein- und Durchschlafstörungen, verminderte Konzentrationsfähigkeit, Einschränkung der Konzentration und der Merkfähigkeit, etc.) berufstätig.
3. Szenario: Klagen und Anklagen als dominantes Symptom
Die Klagsamkeit der Patienten überschattet anfangs alle anderen Symptome. Geklagt wird zum Beispiel darüber, dass alles zu viel sei, dass man nur ausgenützt werde, dass man trotz aller Anstrengungen es nie jemandem Recht machen könne, etc. Im Unterschied zu den beiden ersten Szenarien sind die klassischen Symptome einer â in der Regel â mittelschweren bis schweren Depression durch gezielte Fragestellungen durchaus erfahrbar. Allerdings werden diese Schilderungen und die Beantwortung der Fragen immer wieder durch Schuldzuweisungen an andere Personen unterbrochen. Die Patienten selbst empfinden sich stets als Opfer.
Es ist oft schwierig, sich durch dieses Verhalten, dieses aggressive Klagen und Anklagen nicht provoziert oder betroffen zu fühlen und nicht aggressiv zu reagieren. Und es ist oft nicht leicht, nicht ungeduldig zu werden oder nicht darauf zu beharren, dass die Patienten endlich ihre eigene âBeteiligungâ an diesen, immer nur von anderen zugefügten, Ãrgernissen eingestehen,
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