Die Depressionsfalle
Patienten alleine oder im Beisein eines Arztes ausgefüllt werden. Niemals jedoch kann die Diagnose einer Depression ausschlieÃlich auf Grund eines ausgefüllten Fragebogens gestellt werden.
Der diagnostische Prozess als Grundlage für die Indikation zu einer Psychotherapie kann oft, wie schon erwähnt, bei ambulanten Patienten, z.B. in einer Ordination, mehrere Sitzungen beanspruchen. In der Regel handelt es sich um ein âEntlangtastenâ des Diagnostizierenden an der Selbstdarstellung des Patienten.
Der diagnostische Prozess
1. Schritt: Das Erforschen der Krankheitszeichen â mögliche Selbstdarstellungen depressiver Patienten
1. Szenario: Die Hemmung als dominantes Symptom
Hemmung macht sich in der Körpersprache, in Mimik und Gestik, vor allem aber im Tempo der Bewegungen bemerkbar. Die Patienten kommen langsam und zögernd zur Türe herein, sprechen leise, scheinen müde, was oft am Gesichtsausdruck erkennbar sein kann (heruntergezogene Mundwinkel), und scheinen nicht zu verstehen, was man eigentlich von ihnen möchte. Spontan über sich zu berichten, ist ihnen kaum bis gar nicht möglich. Auf gestellte Fragen wird zögernd und leise, wenn überhaupt, geantwortet â auch der Denkprozess scheint verlangsamt. Diese Hemmung des Denkens kann dazu führen, dass Patienten fälschlich als dement oder minderbegabt eingeschätzt werden. Manchmal fällt ein Satz wie: âWas will man von mir? Ich mache eh alles.â Ein verständnisloses Zucken mit den Schultern kann immer wieder beobachtet werden. Manchmal wird auch Angst, die mit Worten nicht ausgedrückt wird, in der Körperhaltung deutlich. So werden mitunter von Patientinnen Handtaschen oder Kleidungsstücke dicht und eng an den Körper gehalten, so, als ob man einen Schutz benötige vor dieser fremden Person, die Unverständliches von einem möchte. Oder aber ein Kind wird ganz eng auf dem Schoà gehalten, so als ob es Schutz bieten könne. Selbstvorwürfe und Schuldgefühle können spontan geäuÃert werden â oft irrationale Schuldgefühle, die alte, meist völlig nichtige âVergehenâ betreffen.
Um von diesen Patienten diagnostisch relevante Inhalte, abgesehen von den beobachtbaren Zeichen, zu erfahren, ist es meistens für den Arzt bzw. für den Psychotherapeuten nicht sehr zielführend, Fragen zu stellen. Vorsichtige, rücksichtsvolle Provokationen scheinen oft eher erfolgreich zu sein. Eine mögliche Formulierung wäre zum Beispiel: âKönnte es sein, dass der Ausdruck von Müdigkeit, den ich in Ihrem Gesicht zu beobachten glaube, etwas mit IhremSchlafrhythmus zu tun hat? Wann ungefähr schlafen Sie ein? Wie verbringen Sie schlaflose Zeiten, wie lange wälzen Sie sich nachts oder in den frühen Morgenstunden grübelnd in ihrem Bett?â Dieses Sich-Zurücknehmen kann sehr oft hilfreich sein, die Patienten doch zu motivieren, etwas von sich preiszugeben, dessen sie sich selbst gar nicht so deutlich bewusst sind. Die Gefahr eines Selbstmordes sollte bei diesen Patienten nicht auÃer Acht gelassen werden: Aus innerpsychischen oder aus äuÃeren Gründen kann diese psychomotorische Hemmung durchbrochen werden und in heillose, selbstgefährdende motorische Unruhe (Agitation) umschlagen.
Für diese Patienten ist sehr viel Geduld erforderlich. Oft klammern sie sich an die diagnostizierende Person und wiederholen monoton schwer zu beantwortende Fragen. Was diese Patienten schwer verzeihen können, ist, wenn Versprechen nicht eingehalten oder sie auf spätere Zeiten vertröstet werden. Klare Strukturen sind erforderlich, damit Ãrzte und Psychotherapeuten nicht Opfer der Falle âUngeduldâ werden â zum Schaden der Patienten.
2. Szenario: Aggressivität als dominantes Symptom
Diese Patienten werden häufig von nicht psychiatrischen Fachärzten (Internisten, Gynäkologen, Orthopäden) oder Einrichtungen überwiesen. Die Ãberweisungen datieren oft schon längere Zeit zurück, da die Patienten einen Besuch bei einem psychiatrischen Psychotherapeuten für eine überflüssige Belästigung erachten. Abgesehen von drängenden Angehörigen kann es durchaus eine stark zurückgedrängte, weil zum Bild, das der Patient von sich hat, nicht passende, aber doch vage vorhandene Ahnung des Patienten selbst sein, dass âetwas nicht stimmtâ, die sie dann doch motiviert,
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