Die Depressionsfalle
gefunden.
Diese Zahlen müssen aber, den Autoren der Studie zufolge, stark relativiert werden, da es für ältere und alte Menschen klare Barrieren im Versorgungssystem gibt. Dies ist umso bedauerlicher, da die depressive Symptomatik im Alter nicht grundsätzlich von jener anderer Lebensphasen abweicht; die Symptome sind jedoch durch Lebenserfahrungen unterschiedlichster Art modifiziert und oft durch andere begleitende Erkrankungen (Komorbidität), wie etwa durch Schmerzen verursachte, chronische körperliche Leiden (z.B. des rheumatischen Formenkreises) verzerrt. Dieses psychiatrische und psychotherapeutische Versorgungsdefizit alte Menschen betreffend, ist umso bedauerlicher, als aktuelle Studien zeigen konnten, dass auch bei älteren und alten Menschen Psychotherapie wirkt und subjektiv Lebensqualität gewonnen werden kann.
Barrieren auf Seiten des Versorgungssystems
Was die Diagnostik betrifft, scheint ein Haupthindernis die Schwierigkeit des Erkennens psychischer Störungen bei Alten zu sein. Die Abgrenzung zwischen Misslichkeiten der Lebenssituation der Patienten, welche zu Traurigkeit und Resignation führen kann, und klinisch manifester Depression ist sicher oft schwierig und auch von individuellen Erfahrungen der Diagnostizierenden beeinflusst.
Auch die zwei wichtigsten Behandlungsschienen, Psychopharmakabehandlung und Psychotherapie, bergen Probleme. Bei der Behandlung mit Psychopharmaka kann die Frage der Einwilligungsfähigkeit alter Menschen ein ethisches Thema sein.
Fragen der Dosierung der Psychopharmaka bei alten Menschen sind in Diskussion. Ein zweites Problem stellen die Interaktionenmit anderen Medikamenten dar â viele alte Menschen benötigen Blutdruck senkende Medikamente, Antirheumamittel, etc. Hier ist Spezialwissen erforderlich, das nicht immer verfügbar ist, sei es in ländlichen Bereichen oder in Pflegeheimen.
Die Psychotherapie betreffend scheint es, abgesehen von der Verfügbarkeit, zwei Barrieren zu geben: Eine Barriere scheint die Einstellung jener zu sein, welche diese Indikation stellen können. Es wird immer noch irrtümlich angenommen, dass auf Grund des Alters der Patienten keine Veränderung mehr erzielbar sei. Alte Menschen seien starr, unbeweglich und daher sei Psychotherapie nicht indiziert. Alte Tiere betreffend scheint es diese Meinung nicht zu geben: Die âBremer Stadtmusikantenâ im Märchen sind alte Tiere, die initiativ und ideenreich dargestellt werden. Zum anderen fühlen sich die Behandelnden aus dem gleichen Vorurteil heraus oft nicht kompetent â was sich ebenso als irrig herausstellen kann.
SchlieÃlich bestehen massive, gesundheitspolitisch ungelöste Hindernisse: die Erreichbarkeit von Psychiatern und Psychotherapeuten im ländlichen Raum und die Kosten von Psychotherapie. In vielen Regionen scheinen adäquat ausgebildete ärztliche Gerontologen, Gerontopsychiater und Psychotherapeuten zu fehlen â besonders in Institutionen. Psychotherapeutische Behandlung bei niedergelassenen Therapeuten ist in Ãsterreich überwiegend nur bei Vorfinanzierung durch die Patienten und bei nachträglicher Einreichung um Rückerstattung des vorgesehenen Teilbetrages durch die Krankenkasse möglich. Dieser Aufwand ist von vielen alten, alleinlebenden Menschen finanziell und was die alltäglichen Mühen betrifft unmöglich zu leisten.
Motivationale Barrieren auf Seiten der Patienten
Die Einflüsse des sozialen Netzes, sogenannte kohortenspezifische Sozialisationseinflüsse, spielen eine Rolle. Wir hören z.B. von depressiven alten Menschen Sätze wie: âEs ist eine Frage des Willens und der Charakterstärke, mit Problemen fertig zu werdenâ. Das Aufsuchen einer psychiatrischen Ordination wird oft als beschämend erlebt; die Inanspruchnahme von Psychotherapie wird als einZeichen von Schwäche gesehen. Das gilt vor allem für die Kriegsund Nachkriegsgeneration, die mit âganz anderenâ Problemen fertig werden musste.
Ãber Psychotherapie als relativ neue Behandlungsmethode ist oft das Wissen nicht vorhanden, oder es überwiegen Fehlinformationen. Die Angst vieler alter Menschen, bei dem Bemühen um Hilfe beschämt zu werden, hat durchaus realistische Hintergründe. Ein häufiges Problem älterer und alter Frauen ist die Harninkontinenz: Deswegen abgeurteilt zu werden, als übel riechend, ungepflegt hingestellt zu werden, ist nicht so
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