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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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die Sexualität des Erwachsenen in der des jungen Menschen, ja sogar in der des Kindes bereits vorweggenommen. Das Erwachsensein scheint im Allgemeinen als wünschenswert, weil es Selbstbestimmung (Autonomie) und die Befriedigung der Triebe verspricht. Im Gegensatz dazu assoziiert der Erwachsene das hohe Alter mit Vorstellungen von Verlustund Einschränkungen. Unser Unbewusstes weiß nichts vom Alter. Es nährt die Illusion von einer ewigen Jugend. Wenn diese Illusion zerstört wird, entsteht bei vielen Menschen ein von Selbstverliebtheit (Narzissmus) geprägtes Trauma, das zu einer schweren Depression führen kann.
    Alte Menschen sind gezwungen, mit ihren Kräften hauszuhalten, ein übermäßiger Kräfteverbrauch könnte einen Herzschlag zur Folge haben, eine Krankheit könnte endgültig schwächen, ein Unfall würde bedeuten, ans Bett gefesselt zu sein, etc. Jeder Augenblick kann Probleme bringen und ein Irrtum muss teuer bezahlt werden. Für die Ausübung der körperlichen Funktionen bedarf man künstlicher Hilfsmittel: Prothesen, Brillen, Hörgeräte, Gehstöcke, Windeln …
    Es ist beklagenswert, dass die meisten Alten zu arm sind, um sich gute Brillen und teure Hörgeräte zu kaufen. Wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse den alten Menschen unter mehreren Möglichkeiten die Wahl lassen, hängt die Art der Reaktion auf die Unannehmlichkeiten des Alters von früheren Einstellungen ab. Dasselbe gilt ja auch für die Reaktion auf die Menopause, von der WHO als ‚Funktionsloser Eierstock‘ definiert, wie im Kapitel Frauen und Depression behandelt wird.
    Geistiges und Körperliches sind eng miteinander verbunden. Die Anpassungsleistung eines durch Krankheit und Behinderung beeinträchtigten Organismus an die Umwelt ist dann eher zu bewältigen, wenn man sich die Lust am Leben bewahrt hat. Umgekehrt begünstigt eine gute Gesundheit das Fortbestehen geistiger und seelischer Anteilnahme.
    Die Moralisten, die das Alter aus politischen oder ideologischen Gründen verteidigen, behaupten, es befreie den Menschen von seinem Körper. Durch eine Art Ausgleich gewinne der Geist, was der Körper verliere. Derartiges wird von vielen alten Menschen in Anbetracht der wirklichen Situation der meisten alten Menschen als taktlose, spiritualistische Albernheit empfunden. Hunger, Kälte, Krankheit haben schwerlich einen moralischen Gewinn im Gefolge. Die Läuterung, von der die Moralisten sprechen, liegt für sie vor allem im Erlöschen des sexuellen Verlangens. Sexuelles Verlangen besteht im Alter weiter, wenn auch mit anderer Intensität und oft verleugnet, weil es alsbeschämend empfunden wird. Schließlich wird Sexualität fälschlich von vielen immer noch mit Jugend und Schönheit assoziiert.
    Frauen und Männer, die ein glückliches Sexualleben hatten, mögen Gründe haben, es nicht verlängern zu wollen. Einer der Gründe ist ein vom Narzissmus bestimmtes Verhältnis zu sich selbst. Der Ekel vor dem eigenen Körper nimmt bei Mann und Frau verschiedene Formen an, das Alter kann beiden dieses Gefühl einflößen, sodass sie sich weigern, diesen Körper noch für einen anderen existieren zu lassen. Leider werden von vielen Menschen altersbedingte Veränderungen mit Krankheit gleichgesetzt. Dafür mitverantwortlich ist das Fehlen von umfassenden wissenschaftlichen Erhebungen vor Ort: in Privatwohnungen, in Altenheimen, zur Lebenssituation alter Menschen. Daher gibt es nach wie vor Forschungsdefizite hinsichtlich gesundheitlicher Befindlichkeit von alten und älteren Menschen – das trifft besonders auf psychische Erkrankungen und hier wiederum vorrangig auf depressive Zustandsbilder zu. Ein besonderes Interesse besteht derzeit an Demenzerkrankungen – teils auch aus volkswirtschaftlichem Interesse. Unser nach wie vor geringes Wissen steht in krassem Gegensatz zu der zunehmenden Anzahl von alten Menschen in unserer Gesellschaft.
Wann sind wir älter, wann sind wir alt?
    Von Personen welchen Alters sprechen wir, wenn es um ‚Depression im Alter‘ geht? Ab welchem Lebensalter wird die Bezeichnung ‚alt‘ für angebracht befunden?
    Für die Beantwortung der Frage, mit welchem Lebensjahr der Beginn des ‚Alters‘ zu datieren sei, wann wir von ‚älteren Menschen‘, wann von ‚alten Menschen‘ sprechen können oder sollen, stehen zwei

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