Die Depressionsfalle
wieder bei vollem Bewusstsein. Zu einem motorischen Krampfgeschehen kommt es dabei, abgesehen von Muskelzuckungen eines zur Krampfbeobachtung isolierten Unterarms, nicht mehr, sodass die schweren körperlichen Auswirkungen, die früher zum schlechten Ruf der Behandlung beigetragen haben, heute vermieden werden. Durch die Veränderung der Reizparameter (unipolare Rechteckimpulse statt sinusförmigen Wechselstroms) werden die Auswirkungen des Schocks auf das Gedächtnis und auf andere Hirnfunktionen reduziert. Ganz vermieden können sie aber nicht werden. Es braucht meist zehn und mehr solcher Elektroschockbehandlungen, bis eine deutliche Stimmungsaufhellung eintritt.
Die Behandlungsmethode läuft heute unter standardisierten Bedingungen ab. Die Standards werden garantiert durch qualitätssichernde MaÃnahmen, kontinuierliche technische Verbesserungen, strenge Sicherheitsbestimmungen und juristische Rahmenbedingungen. In verschiedenen Ländern obliegt es den medizinischen Fachgesellschaften oder den medizinischen Kontrollbehörden, die Standards festzulegen und eine Bewertung der Behandlung durchzuführen. Durch die kontinuierliche Verbesserung der Methodik und die Entwicklung klarer Behandlungsstandards wird dieElektrokonvulsionsbehandlung auch heute als eine Therapieoption bezeichnet, auf die nicht verzichtet werden kann â umso mehr, da von manchen Experten behauptet wird, dass das Nebenwirkungsrisiko unter dem anderer psychiatrischer Behandlungsverfahren liegt. In Deutschland werden jährlich ungefähr 4000 Menschen mit EKT behandelt.
Die Behandlung darf nur dann erfolgen, wenn eine Einwilligungserklärung vorliegt. Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben oder an schweren Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems leiden, sind von der Behandlung ebenso ausgeschlossen wie Personen, die unter schweren Infektionserkrankungen leiden, frisch operiert sind oder Erkrankungen der Gelenke und des Knochensystems aufweisen.
Ganz gesichert ist das Wissen über die Wirkung der Methode noch nicht. Ergebnisse aktueller Forschung sprechen dafür, dass sie darauf beruht, dass Krampfanfälle unter kontrollierten Bedingungen, ähnlich wie psychoaktive Arzneimittel, die Ausschüttung von Neurotransmittern und Neurohormonen stimulieren. In einem neuen Forschungsschwerpunkt wurde nachgewiesen, dass die Heilkrampfbehandlung regenerative Prozesse des Nervengewebes anregt. In klinischen Studien und in Tierversuchen wurde nachgewiesen, dass die Behandlung sowohl die Ausschüttung neurotropher Substanzen und die Regeneration im Nervengewebe als auch direkt die Neubildung von Nervenzellen und die neuronale Plastizität fördert.
Zu den am häufigsten auftretenden unerwünschten Wirkungen der Elektrokrampftherapie gehören Gedächtnisstörungen, die die Zeitspanne vor und nach der EKT-Anwendung betreffen (retrograde und anterograde Gedächtnisstörung). Diese Gedächtnisstörungen treten nach beidseitiger (bilateraler) Anwendung der EKT häufiger auf als nach einseitiger (unilateraler) Anwendung. Auch bei mehrfacher Anwendung der EKT in einem kurzen Zeitraum (hochfrequente EKT) kommt es häufiger zu Gedächtnisstörungen. Da durch eine hochfrequente EKT kein schnellerer Wirkungseintritt erreicht werden kann, wird diese aufgrund der gleichzeitig erhöhten Nebenwirkungsrate nicht empfohlen. Weitere Faktoren, die das Ausmaà der Gedächtnisstörungen beeinflussen, sind Platzierungsorte derElektroden, Alter und sozioökonomischer Status des Patienten sowie zusätzlich bestehende neurologische Erkrankungen. In der Regel bilden sich die Gedächtnisstörungen nach einigen Stunden bis Tagen spontan wieder zurück. Die häufigsten Gedächtnisstörungen, die längere Zeit persistieren, sind retrograde Gedächtnisstörungen. Obwohl sich auch in diesen Fällen in den Monaten nach der Anwendung der EKT die Gedächtnisstörungen zurückbilden, bleibt die Rückbildung häufig inkomplett. Meist sind Gedächtnisinhalte betroffen, die kurze Zeit vor Anwendung der EKT erworben worden sind.
Sehr seltene Komplikationen entsprechen den Komplikationen einer Narkose. Im statistischen Mittel tritt bei 4000 bis 5000 Patienten mit je zehn Einzelanwendungen ein Todesfall auf. Diese Rate entspricht der zehnfachen Todesfallrate einer Zahnextraktion in Narkose. Dem gegenüber steht, dass circa 15 von 100 Patienten mit einer schweren Depression
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