Die Depressionsfalle
wurden auch in der
Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift
veröffentlicht. Kuhn beschriebdie positiven Effekte der Imipramin-Behandlung in seinem abschlieÃenden Bericht folgendermaÃen: âDer Effekt ist besonders auffällig bei Patienten mit tiefer Depression. Darunter verstehen wir eine generelle Verlangsamung des Denkens und Handelns, begleitet von Müdigkeit, Schweregefühl, Belastungsgefühlen und einer melancholischen oder selbst auch verzweifelten Stimmung, wobei all diese Symptome am Morgen besonders stark auftreten und die Tendenz aufweisen, sich im Verlauf des Nachmittags und Abends zu verbessern. Schon von der äuÃeren Erscheinung allein kann man ableiten, dass sich der Gefühlszustand unter Imipramin-Hydrochlorid verbessert. Die Patienten stehen am Morgen aus eigenem Impuls heraus auf, sie sprechen lauter und schneller, ihr Gesichtsausdruck wird lebhafter. Sie beginnen selbsttätig mit Aktivitäten, suchen wieder Kontakt zu anderen Leuten, beginnen sich zu unterhalten, beteiligen sich an Spielen, werden fröhlicher und sind wieder imstande zu lachen. [â¦] Sie beschäftigen sich nicht mehr mit vorgestellter oder realer Schuld aus der Vergangenheit, sondern planen ihre Zukunft. [â¦] Selbstmordtendenzen reduzieren sich, können unter Kontrolle gehalten werden oder verschwinden völlig. [â¦] Wo Schlafstörungen die Depression begleiteten kann wieder geschlafen werden, wobei der Schlaf als natürlich und erfrischend erlebt wird und nicht ermüdend und forciert, wie es beim Gebrauch von Schlafmitteln häufig auftritt.â
Diese Darstellung erregte naturgemäà international groÃes Interesse. Heinz Lehmann, der klinische Direktor des Douglas Hospitals in Montréal, war so beeindruckt, dass er den Therapieversuch in seiner Einrichtung wiederholte. Er machte vergleichbare Beobachtungen wie Kuhn und hatte auch vergleichbar gute Erfolge wie sein Schweizer Kollege. Lehmann und sein Team veröffentlichten ihre Erkenntnisse 1958 in der Zeitschrift der Kanadischen Gesellschaft für Medizin. Ebenfalls 1958 veröffentlichte Kuhn seine Beobachtungen im
American Journal of Psychiatry
. Zu diesem Zeitpunkt verfügte er über umfassende Erfahrung mit dem therapeutischen Einsatz des Imipramin. 1958 hatte er bereits mehr als 500 Patienten behandelt, die an der einen oder anderen Form depressiver Erkrankungen litten, vor allem aber an jenem Zustandsbild, das wir heute âMajor Depressionâ bezeichnen, und das am ehesten jener Form der depressivenErkrankung entspricht, die früher als Melancholie oder als endogene Depression bezeichnet wurde. In diesen Fällen sei oftmals völlige Heilung oder zumindest einschneidende Verbesserung der sozialen Funktion zu erzielen. Seine Darstellung war sehr differenziert. Er beschrieb, dass die Anwendung der Substanz sicher sei und keine nennenswerten beeinträchtigenden Nebenwirkungen auslöse. Die Wirkung trete meistens innerhalb von zwei bis drei Tagen auf, bisweilen könne man aber auch einen verzögerten Wirkungseintritt beobachten, der in seltenen Fällen auch mehrere Wochen betragen könne. Die Wirkung sei am ausgeprägtesten bei Patienten mit endogener Depression, die die übliche Symptomkonstellation von geistiger und motorischer Hemmung, Schweregefühl, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühlen und Verzweiflung aufweisen und an einem morgendlichen Pessimum (einer schweren depressiven Stimmung, die sich im Laufe des Tages bessert) leiden.
Da die Beobachtung gemacht werden konnte, dass Patienten, die gleichzeitig an einer Störung der Hirnfunktion oder an einer Schizophrenie leiden, problematisch auf die Substanz reagierten, indem sich entweder die psychotischen Symptome verstärkten oder vorübergehende Erregungszustände auftraten, wies Kuhn darauf hin, wie wichtig die genaue Diagnose des Zustandsbildes sei, und dass die Zuweisung zur medikamentösen Behandlung erst nach einer exakten Erhebung des Typs und der Ursache der Depression erfolgen solle. 56
Ab 1960 wurde die Testsubstanz Imipramin unter dem Namen Tofranil vermarktet. Fünf Jahre später lagen weltweit bereits über 5000 Publikationen vor, die Kuhns Beobachtungen überwiegend bekräftigten. Einige Jahre später wurde eine dem Imipramin sowohl hinsichtlich der chemischen Struktur als auch der Wirkung verwandte Substanz in die Depressionsbehandlung eingeführt, das Amitryptilin,
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