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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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das unter den Firmennamen Triptyzol oder Elavin vermarktet wurde.
Monoamino-Oxydase-Hemmer
    Gleichzeitig mit der Forschung an Imipramin wurde auch die Forschung an einem anderen Arzneimittel betrieben, an dem man einenpsychoaktiven Nebeneffekt beobachtet hatte. 1951 hatte die Schweizer Firma Hoffmann-La Roche die Substanz Iproniazid für die Behandlung der Tuberkulose eingeführt. Bei der Anwendung der Substanz beobachtete man, dass manche der Patienten erregbar, reizbar und verwirrt wurden, während andere sich positiv angeregt fühlten und berichteten, dass sich ihre Stimmung verbessert habe, seit sie das Arzneimittel einnahmen. Im National Institute of Health in Bethesda in Washington haben sich gleichzeitig bei Tierexperimenten ähnliche Ergebnisse beobachten lassen.
    Nathan Kline, ein Psychiater in New York, griff diese Beobachtungen auf und begann 1956 die Substanz off label – also für eine andere Indikation als in der Zulassung vorgesehen – an depressive Patienten abzugeben. Andere Psychiater folgten diesem Beispiel und es heißt, dass man 1957, als Geigy sich gerade daran machte, Tofranil auf den Markt zu bringen, bereits viele Patienten mit dem alternativen Präparat Iproniazid behandelte, bevor es 1958 als Arzneimittel für den psychiatrischen Gebrauch zugelassen worden war. Vermarktet wurde Iproniazid sogar etwas früher als Imipramin.
    1958 veröffentlichte der amerikanische Psychiater Theodore R. Robie im
American Journal of Psychiatry
die Erfahrungen, die er mit dem antidepressiven Einsatz der Substanz gemacht hatte, die unter dem Markennamen Marsilid von Hoffmann-La Roche vermarktet wurde. Er meinte, dass die sorgfältig überwachte Abgabe der Substanz an melancholische Patienten die Notwendigkeit der Anwendung des Elektroschocks maßgeblich reduziere, wobei allerdings bei schwer Selbstmord gefährdeten Fällen die Kombination von Elektroschock und dem Arzneimittel zu empfehlen sei, da das Medikament eine gewisse Anlaufzeit benötige. Robie empfahl große Vorsicht im Umgang mit der Substanz, da die „machtvollen chemischen Kräfte“, die sie entfessele, schwere Komplikationen bewirken könne, wenn der befasste ärztliche Psychiater nicht ständig auf der Hut sei und eine entsprechende Dosisanpassung durchführe und die Nebenwirkungen durch andere Arzneimittel reguliere. Auf einen, seiner Meinung nach, günstigen und bedeutenden Nebeneffekt wies Robie allerdings auch hin: Psychotherapeutische Betreuung werde erleichtert, da die Patienten spontaner reagierten, sich besser fühlten und besser kommunizierten.
    Alfred Gallinek vertrat 1959 eine gegenläufige Auffassung hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Arzneimittels. Seiner Meinung nach war Marsilid die einzige Substanz mit eindeutiger antidepressiver Wirkung und wirke am besten bei neurotischen Depressionen, die durch Somatisierung und Hemmung gekennzeichnet seien. Deshalb sah er auch keinen Zusammenhang mit der Elektroschockbehandlung, die für diese Klientel ohnehin üblicherweise nicht geeignet schien. Die Wirkung der Substanz schien ihm darauf zu beruhen, dass sie das körperliche Wohlbefinden verstärke und die Lebensenergie anfache. Auch Gallinek beobachtete schwere giftige Nebenerscheinungen: 15 von 32 Patienten litten unter schweren Komplikationen, wobei fast die Hälfte der Betroffenen einen Leberschaden erlitt.
    Marsilid wurde in Fachkreisen allgemein als zwar einigermaßen wirksame, aber doch höchst gefährliche Substanz eingeschätzt. Bleuler vertrat die Auffassung, dass die Iproniazid-Behandlung unter allen verfügbaren Behandlungsmethoden das größte Risiko für die Patienten mit sich bringe. Sie sei auch gefährlicher als die Elektroschockbehandlung. Das Anwendungsgebiet des Iproniazid sei die Melancholie, bei der Stupor, Inaktivität und Apathie vorherrschten, man solle die Methode jedoch „auf verzweifelte, gegen andere Behandlungen resistente Formen“ beschränken. Auf jeden Fall sei zu empfehlen, dass die Einstellung in der Klinik durchgeführt werde, um allfällige schwere Komplikationen rasch erkennen und behandeln zu können. Zu diesen Komplikationen zählte Bleuler: Gelbsucht bei lebensgefährlicher Leberschädigung, Nervenentzündungen, Reflexsteigerung, Gangunsicherheit und andere Störungen seitens des zentralen Nervensystems, Kollapsneigung beim Aufrichten, Ödeme, Erregungszustände,

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