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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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neuer Beruhigungsmittel befasst war, an seinen Versuchstieren die Beobachtung, dass die SubstanzChlorpromazin, die er gerade erforschte, mehr versprach als nur Beruhigung. Daraufhin wurde die Substanz von der Erzeugerfirma Rhone-Poulenc zur klinischen Testung an Psychiater weitergegeben. Pierre Deniker und Jean Delay, den wir bereits früher kennen gelernt haben, verabreichten die Testsubstanz ihren Patienten im Spital Ste. Anne in Paris und fanden heraus, dass sie sowohl bei Fällen, die an einem Zustandsbild litten, das damals als manisch-depressives Krankheitsgeschehen bezeichnet wurde (was wir heute als bipolares Krankheitsgeschehen klassifizieren), als auch an schizophrenen Patienten bemerkenswerte Veränderungen bewirkte. Bei den manisch-depressiven Patienten war besonders ein positiver Einfluss auf erregte und wahnhaft verstimmte Zustände zu beobachten. Mit dieser Substanz schien dementsprechend ein Durchbruch gelungen. Auch Patienten, die an schweren „melancholischen“ Verstimmungen litten, schienen nun einer ambulanten medikamentösen Behandlung zugänglich.
    Nachdem diese ersten Ergebnisse bekannt geworden waren, wurde die Lizenz für die Vermarktung der Substanz von der amerikanischen Firma Smith, Kline und French erworben. Sie wurde in Europa unter dem Namen Largactil und in Amerika unter dem Namen Thorazin auf den Markt gebracht. Bereits 1955, also nur vier Jahre nach der Entdeckung durch Charpentier, wurden unzählige Patienten, die an verschiedenen Geistes- und Gemütskrankheiten litten, mit diesen Mitteln behandelt.
Trizyklische Antidepressiva
    Die neuen antipsychotischen Arzneimittel wurden also rasch ein Marktfaktor und versprachen, zu einem wahrhaft guten Geschäft zu werden. Naturgemäß wurde dadurch ein Wettbewerb zwischen den großen Arzneimittelproduzenten eröffnet. Innerhalb dieses Wettbewerbs kam es zur ebenfalls zufälligen Entdeckung der nächsten Stoffgruppe, der ersten Generation der modernen Antidepressiva. Die Schweizer Firma Geigy (heute nach Zusammenschluss mit Sandoz als Novartis bekannt) ließ in den 50er Jahren eine dem Chlorpromazin verwandte Substanz an schizophrenen Patienten untersuchen.Angeregt wurden diese Untersuchungen von Roland Kuhn, der seit 1939 im Psychiatrischen Krankenhaus Münsterlingen im Kanton Thurgau an der Südseite des Konstanzer Sees arbeitete, nachdem er in Bern und Paris Medizin studiert und 1937 den Doktorgrad erworben hatte. Kuhn war Psychiater, Daseinsanalytiker und Rorschach-Spezialist und hatte eng mit dem berühmten Schweizer Psychiater Ludwig Binswanger zusammengearbeitet, der ein neuartiges Schizophreniekonzept entwickelt hatte. Von 1960 bis 1980 fungierte er als der Leiter der Anstalt in Münsterlingen.
    Er interessierte sich für die neuen Erkenntnisse über die pharmakologische Behandlung der Psychosen und suchte nach neuen Stoffen, die spezifisch zur Behandlung schizophrener Symptome eingesetzt werden konnten. Geigy übergab ihm daraufhin Proben der Testsubstanz G22355. Diese Substanz, die später Imipramin genannt wurde, wies in ihrer chemischen Formel große Ähnlichkeiten mit dem bekannten und bereits weltweit in der Behandlung von Psychosen eingesetzten Chlorpromazin auf. Bei diesen therapeutischen Experimenten ließ sich zunächst ein paradoxer Effekt beobachten: Die Patienten wurden noch unruhiger und die psychotischen Symptome verstärkten sich. Allerdings ließ sich auch bei manchen dieser Versuchspatienten eine eindeutige Aufhellung ihrer Stimmungslage beobachten. Bei Patienten, die depressive Symptome aufwiesen, verbesserten sich diese oder sie verschwanden gänzlich. Kuhn ließ sich von den eher negativen Auswirkungen des Mittels bei Schizophrenen nicht entmutigen, sondern ging der Frage noch, ob diese Beobachtung einer definitiven Wirkung der Substanz entsprach, und ob man diese Wirkung auf die Gestimmtheit auch therapeutisch nutzbar machen konnte. Er gab mit dieser Intention die Testsubstanz zunächst an 40 schwer depressive Patienten ab und erzielte einen merklichen Erfolg. Innerhalb von drei Wochen hellte sich bei fast allen Patienten die Depression auf, wobei die besten Erfolge bei Patienten zu beobachten waren, die an einer „vitalen“ (endogenen) Depression litten. Diese erste Beobachtung datiert aus 1956. 1957 berichtete Kuhn dann über seine Beobachtungen auf dem 2. Internationalen Kongress für Medizin in Zürich. Die Ergebnisse

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