Die Deutsche - Angela Merkel und wir
»Markenkern«, den die CDU angeblich verloren habe. Aber kann sich eine politische Denkrichtung mit Recht »konservativ« nennen, die über eine politische Partei redet wie über die Halberstädter Wurstfabrik, die an dem etwas abgestandenen Rauchgeschmack ihrer Konserven aus Gründen der Erkennbarkeit festhält? Was zeichnen diese Ratgeber für ein Bild von der CDU, wenn sie der Partei empfehlen, sich ein Retro-Mäntelchen aus Positionen zuzulegen, die selbst die Urheber dieser Empfehlungen oft als absurd betrachten?
Als die Christdemokraten im Februar 2013 ihren Widerstand gegen die steuerrechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe aufgaben, war sich die Zeit zunächst für den Ratschlag nicht zu schade, die CDU solle aus Gründen der politischen Profilbildung die Diskriminierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe zu ihrem »Alleinstellungsmerkmal« erklären. Aus Sicht konkurrierender Parteien mag eine derart vergiftete Empfehlung taktisch nachvollziehbarsein, als Element einer seriösen politischen Analyse taugt sie kaum. Sie hat etwas von den Betrachtungen jener Feuilleton-Katholiken, die sich für lateinische Messe und päpstliche Unfehlbarkeit begeistern, ohne doch selbst als aktive Mitglieder der Heiligen Römischen Kirche mit den Schattenseiten dieser ästhetisch gewiss reizvollen Phänomene konfrontiert zu sein.
In welche Untiefen solche Profilierungsversuche führen können, demonstrierte die Debatte über die Homo-Ehe auf dem Hannoveraner CDU-Parteitag Anfang Dezember 2012. Merkel hatte sich zu diesem Zeitpunkt entschlossen, in dem aus ihrer Sicht nicht wahlentscheidenden Streit die Konservativen gewähren zu lassen. Für ein Zugeständnis in diesem Punkt sprach, dass das Bundesverfassungsgericht aller Wahrscheinlichkeit nach die steuerrechtliche Gleichstellung in absehbarer Zeit erzwingen würde, ein gegenteiliger Parteitagsbeschluss mithin keine praktischen Folgen haben würde. Die Parteispitze machte sich einen Antrag aus dem Kreisverband Fulda zu eigen, der sich gegen die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften aussprach, und ersetzte darin die offen diskriminierenden Passagen durch Floskeln vermeintlicher Anerkennung. Die CDU respektiere auch die Entscheidung von Menschen, hieß es da, »die in anderen Formen der Partnerschaft ihren Lebensentwurf verwirklichen«. Diese Formulierung betrachteten die schwulen Christdemokraten, die auf dem Parteitag redeten, zu Recht als Diskriminierung. »Ich verwirkliche mich nicht selbst. Ich bin, wie ich bin«, sagte der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn. Im folgenden Frühjahr scheiterte Merkel miteinem über die Bundestagsfraktion lancierten Versuch, das Thema noch vor der Gerichtsentscheidung zu bereinigen, am Widerstand der CSU. Mit dem Parteitagsbeschluss hatten sich die Kontrahenten noch abfinden können, nun waren beide Seiten vor den Kopf gestoßen: Die Gegner der Homo-Ehe verübelten es der Kanzlerin, dass sie überhaupt einen solchen Anlauf unternommen hatte, die Befürworter waren irritiert, weil sie erneut einen Rückzieher machte.
Anders als die modische Rede der Werbetexter von einem konservativen »Markenkern« suggeriert, liegt die wahre Identität der CDU wohl in ihrem ehernen Machtpragmatismus. Das zeigte sich ein weiteres Mal, als Angela Merkel zum Jahresbeginn 2009 mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise auf Druck des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten nach der Bankenrettung auch ein Hilfsprogramm für Unternehmen der Realwirtschaft befürwortete. Das Programm erwies sich angesichts des baldigen Wirtschaftsaufschwungs zwar als überflüssig. In Teilen der Öffentlichkeit löste es aber eine erregte Debatte darüber aus, ob Merkel nun zum Staatssozialismus überlaufe, wieder einmal Grundüberzeugungen ihrer Partei verrate und die Abkehr vom wirtschaftsliberalen Programm des Leipziger Parteitags auf die Spitze treibe. Im Krisenwahlkampf 2009 knüpfte Merkel dann tatsächlich an die alten Leitbilder des rheinischen Kapitalismus und die väterliche Fürsorge ihres Vorgängers Konrad Adenauer an, wozu der 60. Geburtstag der Bundesrepublik weidlich Gelegenheit gab.
Der Kursschwenk erschien damals manchen so abrupt wie jener, den Gerhard Schröder in der SPD mit seinerAgenda 2010 vollzogen hatte. Nur geschah er unter umgekehrten Vorzeichen und bestätigte einmal mehr die politische Erfahrung, dass Parteien ihre vermeintlichen »Besitzstände« nur selbst abräumen können. So war nur der CDU-Kanzler Konrad Adenauer in der Lage, die
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