Die deutsche Seele
Gebühren für die Transaktionen.
Und wer ist der Verursacher? Napoleon, natürlich, der frivole Meister des Kollateralschadens. In diesem Fall war es sein Frieden von Luneville 1801. Damit gingen Eisass und Lothringen an Frankreich. Die linksrheinischen Grundund Bodenverluste der weltlichen Besitzer, sprich des deutschen Adels, wurden in einer Verlegenheitslösung durch die Säkularisation von rechtsrheinischem Kloster- und Kirchenbesitz ausgeglichen. Weil das den Klerus um sein Auskommen brachte, sollte fürs Erste durch eine Steuer Abhilfe geschaffen werden.
Die Steuer war zwar als Ausnahmeregelung gedacht, aber wie alle erfolgreichen Ausnahmeregelungen kam sie wiederholt zur Anwendung. Denn wer ist schon ohne Verlegenheit, wenn er mit nichts als den Mitteln der Politik den Staatshaushalt finanzieren soll? Die deutschen Kleinstaaten der Zeit verleibten sich die Idee umgehend ein. Als Erstes führte Lippe-Detmold 1827 die Steuer ein. Es folgten Oldenburg (1831), Sachsen (1838), Bayern (1892). Als letztes Land hat in den Jahren 1905 und 1906 Preußen in der Frage gleichgezogen. War die Kirchensteuer der Preis der Säkularisation oder war sie mehr? War sie nicht auch die Umgehung der Debatte um Gott und die Welt, die Abkürzung des Verfahrens um die Trennung von Kirche und Staat? Katholisch gesprochen: Der Bürger wirft die Münze mit lässiger Hand in den Klingelbeutel, den der Staat ihm hinhält, und nach dem Ende des Hochamts nimmt die Kirche diskret die Münze entgegen, und der Staat berechnet ihr ebenso diskret eine geringfügige Gebühr für den Aufwand.
Die Kirchensteuer war eine Sache vor Ort. Sie blieb bis zuletzt kaiserlich ungeregelt. Erst die Weimarer Republik sollte daraus einen festen Bestandteil der Verfassung machen und damit den realen Grund- und Stolperstein zur heutigen Regelung legen.
Die Nazis ließen sie, wie so manches, weiter bestehen, und das Grundgesetz übernahm sie ausdrücklich aus der Weimarer Verfassung, um sie in gleicher Weise wie das historische Vorbild der Ländergesetzgebung zu überantworten.
Im Übrigen gelten nicht nur die beiden Großkirchen als anspruchsberechtigte Körperschaften, sondern auch noch einige andere Glaubensgemeinschaften, u.a. die Jüdischen Gemeinden, Alt-Katholiken oder freireligiöse Gemeinschaften. Manche machen davon Gebrauch, andere nicht. Die Dänische Seemannskirche Hamburg etwa treibt ihre Steuern selbst ein. Zahlreiche Freikirchen verzichten auf die Steuergelder und sind trotzdem krisenfrei.
Kirchen gehen nicht aus Geldmangel unter.
Die Kirchensteuer betrifft aber nicht nur Religionsgemeinschaften. Der Glaubensverhandlung dienen nach Ansicht des Verfassungsgerichts auch die Weltanschauungsgemeinschaften. Auch für die Humanisten kann Kirchensteuer eingezogen werden, jedenfalls wäre es zulässig.
Amen?
>Kleinstaaterei, Reformation, Sozialstaat
Kitsch
Dass sich der Kitsch als solcher kaum greifen lässt, hat wahrscheinlich weniger mit den jeweiligen Kunstvorstellungen zu tun als mit seiner Funktion. Kitsch ist stets konkret, ob es sich nun um einen Porzellanelefanten in der Rolle des Sparschweins handelt oder um das Konterfei eines Diktators auf einem Federhalter mit Goldrand, um Prometheus in der Wandnische eines griechischen Restaurants oder die holzgeschnitzte Madonna auf einem Südtiroler Balkon.
Kitsch ist sogar meist nicht die Sache selbst, sondern ihre Hermeneutik. Erst die Landschaft, in der er sich befindet, macht den röhrenden Hirschen zu dem, was ihm nachgesagt wird. Nicht Der Wanderer über dem Nebelmeer ist romantischer Kitsch, sondern seine endlose Zitierung als Buch-Cover. Kitsch ist, mit einem Verlegenheitskriterium beschrieben, wenn man etwas nicht mehr sehen kann, ohne sich dabei ein Lachen verkneifen zu müssen.
So lassen sich über den Kitsch allerhand Vermutungen anstellen. Es fängt schon bei dem Wort selbst an. »Kitsch« ist zwar zum ersten Mal in der Münchner Kunsthandelszene der 1870er Jahre belegt, trotzdem wird auch über seine Herkunft aus dem Jiddischen und sogar aus dem Englischen spekuliert. Jedenfalls hat der »Kitsch« von München aus die Kunstdebatten befeuert, Auktions-Skandale veranlasst und wird bis heute in seiner deutschen Schreibweise sowohl in Frankreich als auch im angelsächsischen Raum verwendet. Für das, was trotz seiner Konkretion nicht eindeutig genug fassbar ist, hat man gern ein Fremdwort zur Hand.
Alles weitere ist Soziologie, Kunstsoziologie, und damit plausibel.
Kitsch
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