Die deutsche Seele
entsteht mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft, mit ihren technischen Voraussetzungen und ästhetischen Erwartungen. Zum Kitsch kommt es mit der Reproduzierbarkeit von Kunst. Mona Lisa im Louvre ist nicht Kitsch, aber ihre Reproduktion auf der Postkarte oder der Tasse aus dem Museumsshop, von der aus sie uns womöglich zuzwinkert, ist es schon. Wenn in jedem zweiten Hausflur die Hopper-Bar die Wand ziert, und das als Billigposter, kann es sich nur noch um Kitsch handeln.
Die Massengesellschaft verlangt nach der Massenkunst, die um 1870 zunächst einmal Devotionalien-Motive zur Verfügung stellt. Es ist Gründerzeit, Patentierung, Normierung und Standardisierung begleiteten den Einzug der Industrie ins Kaiserreich. Auch der Gartenzwerg ging in die Serienproduktion.
die Zeit, in der jeder einen Gartenzwerg haben möchte. Durch ihn will man sich nicht von allen anderen unterscheiden, man will dazugehören. Dass diese Haltung in Deutschland besonders ausgeprägt war, hat wahrscheinlich mit der späten, aber rasanten Entwicklung der Gesellschaft zu tun. Kurzum, die Nachfrage nach den Hirschen und Zwergen war groß.
Das gilt genauso für das 20. Jahrhundert. Jedem System seinen Kitsch: Es gibt den Kaiserreich-Kitsch, den religiösen Kitsch, den Nazi-Kitsch und den Kommunismus-Kitsch. Und darüber hinaus gibt es den allgegenwärtigen Kitsch der Konsumgesellschaft: Nichts, was es nicht auch als Kitsch gäbe. Siehe den Gelsenkirchener Barock, und so kann jeder jedem etwas vorhalten, auch wenn man sich sonst nichts zu sagen hat. Polemik verbindet.
Die Konsumgesellschaft aber fügt dem Ganzen noch eine kleine Perfidie hinzu. Sie erlaubt, den Kitsch mit einem Augenzwinkern zu quittieren. Alles halb so schlimm?
Im angelsächsischen Raum redet man sich in der Kitschfrage schon lange mit der Pop-Kultur heraus. Diese existiert auf Grund der Idee der Affirmation. Sie sagt ja zu Marilyn und ja zu Mao. Ist Andy Warhols Marilyn Kitsch oder bloß Kult? Was aber ist Kult, wenn nicht Trash? Und ist Kitsch dann Trash oder ist beides bloß »camp«?
Das wäre eine amerikanische Diskussion, keine deutsche. Und, einmal abgesehen davon, dass wir hier nicht grundlos amerikanische Diskussionen führen sollten, geht es auch nicht um eine Diskussion, es geht um das Wort, und dabei muss man zugeben, das Wort »Kitsch« ist eine geniale Erfindung. Schon bei seinem Klang glaubt man den Bezug zur Sache zu erkennen. Was auch immer mit dem Wort in Berührung gebracht wird, ist danach kontaminiert.
Kitsch ist ein Machtwort. Es eignet sich besonders für Laien, da es jegliche Fachterminologie in der Diskussion überflüssig macht. Mit der Bezeichnung »Kitsch« kann man im Grunde fast alles niedermachen. Kitsch ist geradezu eine Bezichtigung. Sogar der Versuch seiner Zurückweisung gerät noch zur Steigerung, wie der freche Ausdruck »Edelkitsch« verrät.
>- Bierdurst, E(rnst) und U(nterhaltung), Gemütlichkeit, Puppenhaus, Schrebergarten
Kleinstaaterei
Valerio: »Wir sind schon durch ein Dutzend Fürstentümer, durch ein halbes Dutzend Großherzogtümer und durch ein paar Königreiche gelaufen, und das in der größten Übereilung in einem halben Tage […] Teufel! Da sind wir schon wieder auf der Grenze; das ist ein Land wie eine Zwiebel, nichts als Schalen, oder wie ineinandergesteckte Schachteln, in der größten sind nichts als Schachteln, und in der kleinsten ist gar nichts.« (Georg Büchner, Leonce und Lena)
»Was ist des Deutschen Vaterland? / So nenne mir das große Land! / Ist’s was der Fürsten Trug zerklaubt? / Vom Kaiser und vom Reich geraubt? / O nein! Nein! Nein! Das Vaterland muss größer sein!« (Ernst Moritz Arndt, 1814)
Es gibt wohl kaum jemanden in Deutschland, der sich nicht schon mal gefragt hätte, ob das alles wirklich sein müsse, trotz schöner Idee: der tägliche Föderalismus. Wenn wir Föderalismus sagen, denken wir doch, mal ehrlich, zunächst an die Blockaden im Bundesrat, an den immerwährenden Landtagswahlkalender, an die ewig öden Landtagswahlkämpfe, die allesamt etwas vom Torfstechen haben. An die Landtagswahlreden und Landtagswahlgeschenke auf Kosten der Bundespolitik. An die Landtagswahlkämpfer und an die Landespolitiker, an ihre Wähler. An den Länderproporz. An die Landesfürsten, die einmal im Monat anreisen, um im Bundesrat alles noch komplizierter zu machen, als es ohnehin schon ist, und das bei aller Föderalismusreform und bei allem Reformwillen. Man sieht die
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