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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Landesfürsten aus ihren Dienstwagen steigen, in denen sie auf der gesamten Fahrt bis Berlin in Akten geblättert haben, die sich mit der Talsperre in Z oder dem Bahnübergang von X beschäftigen, und wenn sie nun aus ihren Limousinen steigen, recken sich ihnen die Hauptstadt-Mikrofone entgegen und fragen sie nach ihrer Meinung zur Bundespolitik.
    Wer hat nicht schon mal den Kopf geschüttelt beim Anblick all dieser Ministerpräsidenten und Staatssekretäre der Länder, die sogar Vertretungen in der Hauptstadt unterhalten, die wie Botschaften aussehen, so dass man meinen könnte, es handele sich bei den Bundesländern um Ausländer. In Wirklichkeit sind es die Oberbürgermeister von Kassel und Co., die hier die Regierungsgewaltigen geben.
    Schauen wir uns einige der merkwürdigsten Ergebnisse der Landespolitik an:
    - Die Baumschutzverordnung in München sieht vor, dass Bäume, um schützenswert zu sein, einen Stammumfang von 80 Zentimetern aufbringen müssen, und zwar zu messen auf einer Höhe von 100 Zentimetern. In Berlin wird bei 130 Zentimetern Höhe gemessen.
    - Laut Jagdverordnung darf in NRW generell mit Wippbrettkastenfallen gejagt werden, während in Thüringen lediglich auf Wildkaninchen und Haarraubwild die Jagd mit Fangvorrichtungen gemacht werden darf.
    - In Bayern darf nur noch in der »Außengastronomie«, sprich: im Biergarten, geraucht werden. In allen anderen Bundesländern darf in ausgewiesenen Raucherräumen geraucht werden. Sonderregelungen: In Berlin ist dies in Shisha-Gaststätten möglich, die keine alkoholischen Getränke anbieten. In Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen müssen ausgewiesene getränkegeprägte Rauchergaststätten mit weniger als 75 Quadratmetern Gastfläche keinen Nichtraucherraum anbieten. Im Saarland sind inhabergeführte Kneipen davon ausgenommen. In Nordrhein-Westfalen gibt es Raucherclubs. In diesen ausgewiesenen Örtlichkeiten darf geraucht werden, ebenso wie in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen bei geschlossenen Gesellschaften.
    - Kopftuchverbot für Lehrerinnen herrscht in Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Hessen, NRW, Bremen, Niedersachsen. In Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und den Neuen Bundesländern darf mit Kopftuch an den Schulen unterrichtet werden.
     
    Das aber kann nicht alles sein, denkt man jetzt, und es ist auch nicht alles. Der Föderalismus hat seinen guten Grund und auch seine guten Seiten. Manches davon liegt weit zurück, das meiste aber halten wir ihm gar nicht zugute, weil es uns selbstverständlich erscheint. Das aber ist eine der folgenreichsten schlechten Gewohnheiten unserer Öffentlichkeit: Alles Positive, alle Leistungen werden als Selbstverständlichkeit betrachtet.
    Blicken wir zurück: Zu Beginn des 18. Jahrhunderts gibt es etwa fünfzig Hochschulen im deutschsprachigen Gebiet. In England gab es nur Oxford und Cambridge. Oxford und Cambridge gibt es auch heute, und es gibt keine deutsche Hochschule, die mit Oxford und Cambridge konkurrieren könnte.
    Die beachtliche Zahl der deutschen Hochschulen ergab jedoch Aufstiegschancen für die begabten Söhne aus weniger wohlhabenden Familien. Dazu die These von Peter Watson {Der deutsche Genius): Die deutsche Intelligenz sei enger an der praktischen Staatsverwaltung beteiligt gewesen als die Intelligenz irgendeines anderen Landes. Dem sollte man hinzufügen: Das Kaiserreich war in jener Zeit, und noch lange danach, ein vorindustrielles Land. In ihm brachte nicht die Industrialisierung die neue Führungsschicht nach vorne, sondern der Bildungsbürger, der sich sozusagen halbtags verpflichtete, die Staatsbuchhaltung zu betreuen. Den kategorischen Imperativ im Gepäck, wanderte er über dem Nebelmeer.
    Das Prinzip unseres Föderalismus ist integral. Es durchdringt die gesamte Gesellschaftsstruktur. 1785, in den Zeiten der Agonie des Alten Reichs, erschienen immer noch 1225 Zeitschriften-Titel, in Frankreich hingegen 82. Bis heute befindet sich ein Fünftel aller Opernhäuser weltweit in Deutschland - langlebiges Erbe des von Büchner bespöttelten feudalen Zwiebel-Schachtelturms.
    Dazu passt die Intendanten-Bemerkung eines Peter Voß bezüglich des ARD-Fernsehkonzepts: »Das macht uns keiner nach!« Er hätte hinzufügen können, weder in der Vielfalt noch administrativ. Das föderale Prinzip ist schließlich nicht nur ein organisatorisches Instrument, es konzediert und ordnet zu. Die Länder sind dabei, sie reden mit, sie sind präsent und stellen sich dar. Zu den

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