Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
mit seiner politischen Unübersichtlichkeit abgefunden.
    So ließ man den misslichen Begriff des »Politischen« einfach weg und erklärte die »Kultur« zum Maßstab alles Deutschen. Der Kult um die Kulturnation nahm allerdings in der Zeit vor Napoleon seinen Anfang. Als die Weimarer Klassiker um Goethe und Schiller an ihrem Musenhof Weltbürgertum und Kulturnation ins Gespräch brachten, konnten sie sich auf die Aufklärer Herder und Lessing stützen. Das war, von Weimar aus betrachtet, nicht bloß eine Einladung an die deutsche Öffentlichkeit, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren, sondern auch der Versuch, sich selbst an die Spitze eines neu gestalteten Selbstbewusstseins zu bringen. Es war eine Gelehrtenrepublik, die es vorsichtig vermied, sich als solche zu bezeichnen. Die Nation ohne Staat sollte den Dichtern und Denkern dienen. Die beiden federführenden Weimarer haben dies auf den Punkt gebracht.
    Zuerst Schiller, in einer fragmentarischen Prosaskizze zu einem Gedicht, das allerdings postum erschien. Goedeke, der Herausgeber, gab ihm den Namen Schiller erklärt dem Weimarer Musenhof die Kulturnation.
     
    Deutsche Größe und datierte das Ganze auf 1797. »Deutsches Reich und deutsche Nation«, schreibt Schiller in diesem Entwurf, »sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen ruhte nie auf dem Haupte seiner Fürsten. Abgesondert von dem Politischen hat der Deutsche sich einen eigenen Wert gegründet, und wenn auch das Imperium untergegangen, so bliebe die deutsche Würde unangefochten. […] Sie ist eine sittliche Größe, sie wohnt in der Kultur und im Charakter der Nation, die von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist […] indem das politische Reich wankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet.«
    Das ist starker Tobak, und in der Nationenfrage zumindest naiv, wenn nicht ignorant, wäre es doch bloß, denkt man den Gedanken zu Ende, eine Art »innere« Nation, die dem Deutschen bliebe. Etwas fürs Ego, aber ohne Territorium und ohne politische Autorität und Handhabe.
    Es geht aber noch weiter, in den Xenien, mit Goethe und Schiller, als stünden sie schon auf dem Denkmalssockel und hätten die Autorität des Denkmalinhabers. Unter dem Stichwort Das Deutsche Reich heißt es dort: »Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden, / Wo das gelehrte beginnt, hört das politische auf.« Und mit dem Vermerk Deutscher Nationalcharakter: »Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens, / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.«
    Bleibt die Frage: In welchem Ordnungsrahmen sollte dieser Selbstbefreiungsakt durch Bildung stattfinden, wenn nicht im Gehege der Nation? Wer sonst sollte die deutsche Sprache und die Kultur dieser Sprache fördern?
    Wilhelm von Humboldt schreibt an Goethe aus Paris: »Philosophie und Kunst sind mehr der eigenen Sprache bedürftig, welche die Empfindung und die Gesinnung sich selbst gebildet haben und durch die sie wieder gebildet worden sind.« Gerade durch die feinere Ausbildung der Sprache, der Philosophie und der Kunst nehme die Individualität und die Verschiedenheit der einzelnen Nationen zu. »Was mich an Deutschland knüpft, was ist das anderes, als was ich aus dem Leben mit Ihnen, mit dem Kreise schöpfte, dem ich nun schon seit beinahe zwei Jahren entrissen bin.«
    Auch Humboldts Nationalgeist ist kein politischer: »Die Staatsverfassung und der Nationalverein sollten, wie eng sie auch ineinander verwebt sein mögen, nie miteinander verwechselt werden.« Er besteht auf der Verschiedenheit der Nationen. Allerdings seien die Deutschen - so wie einst die Griechen - am besten geeignet, der Menschheit die reine Essenz des Humanen vorzuhalten. Winckelmann lässt grüßen. Die Wiederentdeckung des Griechischen enthielt auch die Einsicht, dass das untergegangene und praktisch machtlose Griechenland dennoch einen bis dato überwältigenden kulturellen Einfluss hinterlassen hat, dieser Gedanke aber war Balsam für die Seele des deutschen Bildungsbürgerturns, das die zahllosen Fürsten vor Augen hat, die auf ihrem jeweiligen Grundstück zwar das Sagen haben, aber das Reich, das die Künste mittragen sollte, nicht zur Geltung bringen können.
    Johann Gottlieb Fichte beschäftigt sich mit diesen Fragen in Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters am Ende der 14. Vorlesung: »Welches ist denn das Vaterland des wahrhaft ausgebildeten christlichen Europäers? Im Allgemeinen ist es Europa,

Weitere Kostenlose Bücher