Die deutsche Seele
Kosmopolitismus der Unterschicht zum Zuge, der die Interessen des Kapitals als Kriegsursache und Kriegsgrund benannte. Aus der Kriegsmüdigkeit erwächst das Interesse für den Klassenkampf. Karl Marx hat für einen Augenblick scheinbar recht, es ist aber auch gleichzeitig - und das wird nicht gesagt - die erste große Ausrede der Kriegsteilnehmer. Sie, die als Gesinnungs-Proletarier plötzlich ihre gemeinsamen Interessen vor Augen haben, hatten schließlich mehrere Jahre lang aufeinander geschossen.
1917 aber, zunächst in St. Petersburg, 1918 und danach in den Verliererstaaten des Krieges, vor allem in den beiden deutschen, war man Revolutionär. Schickte sich an, die Räterepublik einzuführen. In München, in Berlin, in Wien und Budapest. Der Ausgang der Sache ist bekannt, in Deutschland aber hinterließ die erzwungene Mäßigung durch die Sozialdemokratie starke extremistische Bewegungen, den Nationalsozialismus und den Kommunismus.
Dass die Republik nicht zur Ruhe kommen konnte, wird vor allem mit der ökonomischen Situation begründet. Es ist aber nicht der einzige Grund. Vielmehr war es so, dass ein Großteil der Interessengruppen keine Autorität in der Weimarer Staatsführung erkennen konnte. Die deutsche Öffentlichkeit war nicht vorbereitet auf die Republik. Ihr fehlte vor allem der Monarch, nein, nicht die Fehlbesetzung Wilhelm IL, sondern der Monarch als Autoritätsfaktor. Die Weimarer Republik war wie das Reich ohne Kaiser, wie Preußen ohne König.
Es wird wohl kaum ein Zufall sein, dass Jahr für Jahr neue Preußen-Filme in die Kinos kamen. Im Jahr 1932 waren es sieben Filme: Marschall vorwärts, historischer Film um Marschall Blücher aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon, Die elf Schillschen Offiziere, historisches Drama aus der Zeit der Befreiungskriege, Der schwarze Husar, eine historische Komödie aus der Zeit der Befreiungskriege, Die Tänzerin von Sanssouci, historische Komödie um Friedrich den Großen und die Tänzerin Barberina, Tannenberg, ein Dokumentarspielfilm über die Schlacht bei Tannenberg im Ersten Weltkrieg, Theodor Körner, über den Dichter der Befreiungskriege, und Trenck, ein Abenteuerfilm aus der Zeit Friedrichs des Großen. Ein durchaus volkspädagogisches Unterfangen.
Zu den Debatten und Stammtischdiskussionen der Weimarer Republik gehörte an wichtigster Stelle die Ursachenforschung betreffend den Ersten Weltkrieg. Dabei ging es vor allem in den konservativen Kreisen darum, (sich) die Niederlage zu erklären. Da ist viel von Verrat die Rede, und es gibt vor allem die »Dolchstoßlegende«, von der Obersten Heeresleitung in Umlauf gebracht. Sie besagt, das Heer sei im Felde unbesiegt gewesen, und Sozialdemokraten und Juden hätten die Sache am Verhandlungstisch verspielt.
Zu den Hauptgründen für das Scheitern der Weimarer Republik werden die Auflagen der Friedensverträge durch die Siegermächte gezählt. Wahr ist, dass diese Verträge Ausdruck einer absichtsvollen Demütigung waren und infolgedessen dem Verlierer keine Möglichkeit offen ließen, sich in irgendeiner Weise, sei es nur vor sich selbst, rechtfertigen zu können. Es waren keine guten Friedensverträge. Sie waren nicht für die Ewigkeit gedacht und hatten auch nicht die »westfälische« Haltbarkeit.
Sie begünstigten vielmehr den Revisionismus, dem in der deutschen Öffentlichkeit eine wichtige Rolle in der Propaganda der Nazipartei zukommen wird. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg erklärt in gewisser Weise die Machtergreifung durch die Nazis, rechtfertigt aber nicht die Kapitulation der deutschen Gesellschaft vor dem Totalitarismus und vor der irregulären Gewalt.
Die Weimarer Republik folgte in Gesetzgebung und institutionalisierter Verwaltung den Prinzipien der Demokratie, aber diese mussten mit Gewalt verteidigt werden. In der Weimarer Republik gab es ein legitimiertes Parteiensystem, aber jede halbwegs ernst zu nehmende Partei hatte ihre paramilitärische Organisation. Es waren nicht nur die Nazis mit ihrer berüchtigten Sturmabteilung SA, sondern auch der Rotfrontkämpferbund der KPD, das Reichsbanner von SPD, Zentrum und DDP und der Stahlhelm, der der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zur Verfügung stand. Die Mitglieder des Rotfrontkämpferbunds grüßten sich im Übrigen auch schon mal mit »Heil Moskau« und »Heil Stalin«.
Die Weimarer Republik war in den Augen fast aller Beteiligten ein Provisorium. Der Grundsatz der zwanziger Jahre hieß Revision. Und die Nazis hatten es
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