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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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insbesondere ist es in jedem Zeitalter derjenige Staat in Europa, der auf der Höhe der Kultur steht.«
    1806 wird Napoleon, der Imperator aus dem Nachbarland, mit Armee und Handbibliothek Mitteleuropa im Handstreich nehmen. Dagegen wehren sich vor allem der Preußenstaat und die nachgerückte Generation der Denker, die ihn verteidigen. Allen voran Fichte. Mit den Erfahrungen von 1806 wurden die Akademiker politisch.
    Wie das Kräftemessen mit Napoleon ausging, ist bekannt. Der Imperator verliert letzten Endes gegen die »Heilige Allianz« der drei Großmächte Österreich, Preußen und Russland. Die Kulturnation aber macht weiter. Der Kult um Goethe und Schiller gewinnt neue Dimensionen. Sie hatten ein reiches Nachleben im Dienst der Kulturnation, zunächst im 19. Jahrhundert. Goethe und Schiller wurden zum Dioskurenpaar durch die Herausgabe des Briefwechsels und vor allem durch die Einweihung des Denkmals vor dem Hoftheater in Weimar am 4. September 1857. Es waren liturgische Highlights des Kulturnationsglaubens.
    Eine nicht ganz unwichtige Rolle kam bereits im Vorfeld dieser Ereignisse der neuen Fürstengruft in Weimar zu, deren Bau 1826 abgeschlossen war. Die 26 Särge der fürstlichen Familie waren bereits 1824 ins Gewölbe gebracht worden. Die erste Beisetzung, die in der Gruft stattfindet, ist jedoch die Umbettung der vermeintlichen Gebeine Fried- jgjy Johann Gottlieb Fichte siegt mit dem Berliner rieh Schillers am 16. Dezember 1827. Landsturm über Napoleon.
    Goethes Sarg wird am 26. März 1832 neben dem von Schiller aufgestellt. Ursprünglich war für die beiden zwar ein eigenes Mausoleum im Gespräch, nun blieben sie aber in der Gruft.
    Die Wallfahrt zu den Särgen beginnt 1882, zu Goethes 50. Todestag.
    Goethe und Schiller hatten als Fürsten der Kulturnation auch im 20. Jahrhundert vieles an Symbolik zu erledigen.
    Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs wird das Dichtertandem zum Rechtfertigungsgrund von Politik und Ideologie. Die erste deutsche Republik spielt sogar im Anschluss an die beiden mit Weimar in ihrer Selbstdarstellung. Die Idee der Kulturnation wird sich bald auf die Ausschmückung des Nationenbegriffs beschränken. Den Missbrauch der Kulturnation betreiben sowohl die Nazis als auch die Kommunisten. Sie versuchen, sich als Erben der Weimarer Klassik zu präsentieren. So bezeichnet Propagandachef Goebbels Schillers Wilhelm Teil als »Führerdrama«, und der NSDAP-Ideologe Alfred Rosenberg spricht von »Goethes Germanischer Wesenheit«. DDR-Cheflügner Walter Ulbricht hingegen fabuliert in einer Rede von 1962 darüber, dass ein zukünftig gesamtdeutscher sozialistischer Staat »der dritte Teil des Faust« sein würde.
    Während des Zweiten Weltkriegs evakuieren die NS-Behörden die Särge in einen Bunker nach Jena. Im August 1945 werden sie in die Gruft zurückgebracht. 2006 bis 2008 wird ein Forschungsprojekt durchgeführt, das ergibt, dass die Gebeine in Schillers Sarg von verschiedenen Menschen stammen - aber sicher nicht von Schiller. Der Sarg in der Gruft ist deshalb heute leer. Das aber ändert nichts am allgemeinen Interesse: Der Tourist betrachtet den leeren Schillersarg ebenso neugierig, wie er den Sarg mit den sterblichen Überresten des Dichters in Augenschein nehmen würde.
    Wenn die Klassiker des 18. Jahrhunderts in der Kleinstaaterei einen eher schulterklopfenden Umgang mit dem Fürsten pflegten, zumindest in Weimar, und ihm hin und wieder ein Werk zueigneten, so war der Status der Intellektuellen in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts von der Macht diktiert. Man konnte Kollaborateur sein oder Exilant oder in der inneren Emigration. In der Weimarer Republik war man Parteigänger von links und rechts oder unpolitisch, in der Regel aber staatsfern.
    Nach 1945 ist unter den Intellektuellen angesichts der Totalitarismen erneut Staatsferne angesagt. Man ist auch jetzt wieder auf Abstand aus. Geprobt wird der Widerstand allerdings am Gegenstand Bundesrepublik, genau dem Staat, der in der bisherigen deutschen Geschichte am wenigsten durch Intoleranz und Autoritätsmissbrauch aufgefallen ist. Nun verknüpfte man das Schicksal der Nation gern mit der Utopie. Man glaubte zwar nicht direkt an die DDR, aber an die Utopie, die man mit ihr verband, - die Idee des Kommunismus. Man sah im Arbeiter- und Bauernstaat den Ansatz eines Gegenentwurfs zur verhassten Gruppe 47 in sicherem Abstand zum Adenauer-Staat: v. l.n.r., sitzend: Heinrich Boll, Hans Werner Richter, Wolfgang Hildesheimer, Martin

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