Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
sehen soll. Sicher bin ich nur, dass sie über den alten Berliner Witz: »Was für ein Geschäft treibt Ihr?« -»Wir treiben keins, Herr. Es treibt uns«, nicht gelacht hätte.
    Seit Anbeginn spaltete die Frage das Abendland, ob Arbeit im alttestamentarischen Sinne eine schweißtreibende Strafe Gottes oder im vitalistischen Sinne eine beglückende Tätigkeit ist, in der sich der Mensch erst wahrhaft als Mensch verwirklicht. Die Deutschen haben beide Positionen bis ins Extrem verfolgt.
    Für die erste wirkmächtige Übersetzung der alttestamentarischen Auffassung ins Deutsche sorgte Martin Luther: »Unser Leben währet siebzig Jahre / wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, / und wenn’s köstlich gewesen ist, / so ist’s Mühe und Arbeit gewesen, / denn es fahret schnell dahin, / als flögen wir davon.« So poetisch und unbarmherzig zugleich klingt der neunzigste Psalm in der Luther-Bibel. Vor dem Reformator hatten bereits die Mystiker die Arbeit aufgewertet, selbst - oder gerade - wenn sie in schäbigstem Gewand daherkam. So hatte schon Meister Eckhart erklärt, dass auch Nesselnsammeln Gotteslob sein kann, wenn dabei nur das Herz gen Himmel gerichtet ist. Dennoch hielten die Mystiker - in aller Demut - daran fest, dass ihre kontemplativ-asketische Lebensweise dem weltlichen Ackern und Rackern überlegen sei.
    Mit dieser Auffassung machte erst Luther Schluss. Rabiat ging er mit dem Mönchstum ins Gericht, das sich einbildete, den direkteren Pfad zum Seelenheil einzuschlagen, weil es die alltäglichen Geschäfte hinter sich gelassen und sein ganzes Leben dem Streben nach Heiligkeit gewidmet habe: »Unangesehen aller heiligen Exempel und Leben soll ein jeglicher warten, was ihm befohlen ist, und wahrnehmen seines Berufs. O, das ist so eine nötige, heilsame Lehre! Es ist ein Irrtum fast gemeint, dass wir ansehen die Werke der Heiligen, und wie sie gewandelt haben, wollen wir hiernach meinen, es sei köstlich wohl getan.«
    Diese Predigt aus der Kirchenpostille von 1522 sollte für das deutsche Berufsverständnis dramatische Konsequenzen haben. Noch der junge Luther, der Augustinermönch, hatte das Wort »Beruf« für jene Zusammenhänge reserviert, die von einer göttlich-spirituellen Berufung erzählen. Dass er - seit seiner Bibelübersetzung - plötzlich auch dort von »Beruf« sprach, wo es um schlichte Erwerbsarbeit ging, war keine Reformation mehr - es war eine Revolution. Die Ausweitung des »Berufs« auf die weltliche Sphäre begründete der Theologe so: Jesus habe nicht gewollt, dass sich alle zu seiner Nachfolge auf dem Weg der Heiligkeit berufen fühlten. »Ich will mancherlei Diener haben, sollen aber nit alle eines Werkes sein«, lässt Luther Jesus in der bereits zitierten Predigt sagen. »Gott will nit Opfer, sondern Gehorsam haben. Daher kommt’s, dass eine fromme Magd, so sie in ihrem Befehl hingeht und nach ihrem Amt den Hof kehret oder Mist austrägt, […] stracks zu gen Himmel geht, auf der richtigen Straß, dieweil ein anderer, der zu Sankt Jakob oder zur Kirche geht, sein Amt und Werk liegen lässt, stracks zu zur Hölle geht.« Erst durch Luther entfaltete die Paulus-Stelle aus dem ersten Brief an die Korinther, in welcher der Apostel einen jeglichen ermahnt, »in dem Beruf« zu bleiben, »darin er berufen ist«, ihre verfleißigende Wirkung.
    Das protestantische Arbeitsethos, zu dem Luther das Fundament gelegt hatte, führte im 16. und 17. Jahrhundert allerdings noch nicht zu der allgemeinen Emsigkeit, für die die Deutschen später berühmt (und gefürchtet) werden sollten. Vergeblich warnten lutherische Pfarrer wie Joachim Westphal vor dem »Faulteufel« und forderten, dass man »das Fleisch dämpfen, töten und von seinen bösen Listen und Werken zur Arbeit leiten, ja zwingen« müsse, oder malten wie Johannes Mathesius die Albträume des Müßiggängers an die Wand, der sich im Schlaf fürchten, alsbald wütend und unsinnig werden, alles Getränk verwerfen und schließlich wie ein Hund bellen würde. Auch mit rigiden Polizeiordnungen war der im ganzen Land verbreiteten Bettelei nur bedingt beizukommen. Zwar bildete sich daneben tatsächlich der Typus des deutschen Schaffers heraus, blühte vor allem in den Reichsstädten das Handwerk, trieben Kaufleute von Hamburg bis Augsburg regen Handel, doch der Dreißigjährige Krieg bereitete diesem ersten deutschen Wirtschaftswunder ein Ende. In dem verwüsteten Land machten sich Schlendrian und Verwahrlosung breit. Zusätzlich

Weitere Kostenlose Bücher