Die deutsche Seele
gründen. König Friedrich Wilhelm I. machte diese Doktrin zur offiziellen Sozialpolitik, indem er große Privatbetriebe in Staats- und Stiftungsbetriebe umwandeln ließ. Auf diese Weise erlebte das karge, ärmliche Königreich Preußen im 18. Jahrhundert einen doppelten Aufschwung: Parallel zur Wirtschaft entstand ein dichtes Netz von Einrichtungen, das den arbeitsamen Nachwuchs produzierte, der wiederum in die Manufakturen ging, um klaglos unermüdlich Tuch zu weben und andere Güter herzustellen.
Bis heute streiten sich die preußischen Geister, ob das Motto »Travailler pour le Roi de Prusse« bedeutet, dass man sich für die Obrigkeit abplagt, oder dass man eine Arbeit schlicht um ihrer selbst willen tut. Der Unterschied ist mehr als bloß ein akademischer. Die erste Lesart folgt der christlichen Auffassung, dass Arbeit wehtun müsse, um zur Läuterung der verderbten Menschenbrut beizutragen: Ihr Ideal ist der gehorsam pflichtbewusste Untertan. Die zweite Lesart feiert den schöpferischen Menschen, der sich ganz in seine Arbeit vertieft, um eine Idee, ein Bild, das es zuvor nur in seinem Kopf gab, in die Wirklichkeit umzusetzen: Ihr Ideal ist der Handwerker/Künstler.
Obwohl die Aufklärer den Glauben daran verloren, dass diesseitige Mühen mit jenseitiger Seligkeit belohnt würden, blieben sie dem alten Arbeitsethos treu. Sie flochten ihm schlicht neue Kränze, befreiten es vom christlichen Albdruck zum idealistischen Selbstausdruck. Der Altphilologe Johann Heinrich Voß, dessen Übersetzungen der Ilias und Odyssee bis heute Klassiker sind, widmete der Arbeit 1801 ein überschwängliches Gedicht. »Werk der Freude, nicht der Strafe«, sollte sie nun sein, denn: »Glückselig macht nur Tätigkeit. / Wie lang wird euch, ihr Müßiggänger, / Wie peinlich lang die liebe Zeit! / Wir wünschen Tag und Stunde länger. / Selbst Ewig währt uns nie zu lang, / Bei rascher Tat und Lustgesang.«
Voß hätte sein Gedicht im Duett mit Johann Wolfgang von Goethe singen können, der im West-östlichen Divan reimte: »Was verkürzt mir die Zeit? - Tätigkeit! / Was macht sie unerträglich lang? - Müßiggang!« Als der wackere Eckermann, selbst unermüdlicher Stenograf in Diensten des Meisters, Goethe einmal mit dem Vorwurf konfrontierte, dieser habe in der Zeit der antinapoleonischen Befreiungskriege nichts patriotisch Relevantes für Deutschland geleistet, soll Goethe geantwortet haben: »Jeder tut sein Bestes, je nachdem Gott es ihm gegeben. Ich kann sagen, ich habe in den Dingen, die die Natur mir zum Tagewerk bestimmt, mir Tag und Nacht keine Ruhe gelassen und mir keine Erholung gegönnt, sondern immer gestrebt und geforscht und getan, so gut und so viel ich konnte. Wenn jeder von sich dasselbe sagen kann, so wird es um uns alle gut stehen.«
Zwar ist es die rastlose Neugier, die Goethes Faust dem Teufel in die Arme treibt - die rastlose Tätigkeit bewahrt ihn davor, zur Hölle zu fahren. »Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen!«, jubilieren am Schluss des zweiten Tragödienteils die Engel, die »Faustens Unsterbliches« in die Atmosphäre tragen.
»Arbeit macht frei.« Diesen Satz, den die Nationalsozialisten pervertierten, indem sie ihn als Toraufschrift an ihren Konzentrationslagern missbrauchten, hätte Goethe noch begeistert unterschrieben. Kollege Schiller wäre da schon zurückhaltender gewesen. Als er im Juni 1784 versuchte, die hohen Herren der kurpfälzischen »Deutschen Gesellschaft« davon zu überzeugen, dass sie sich für das Mannheimer Nationaltheater engagieren sollten, warnte der Theaterdichter ausdrücklich davor, dass »die menschliche Natur« es nicht ertrage, »ununterbrochen und ewig auf der Folter der Geschäfte zu liegen«. In noch dramatischeren Worten schilderte er die »Zerrüttung« der zweckrational organisierten Gesellschaft in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen: »Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt, im Ohr, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft.« Zu heilen sei diese »Zerstückelung« einzig in der ästhetischen Erfahrung. Die Notwendigkeit einer »Schaubühne als moralischer Anstalt« begründete Schiller denn auch damit, dass sie vorzüglich dazu geeignet
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