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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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jegliche des Hörers an sie, gegen Identifikation und Einfühlung.« Was der Bayreuther Schweretöner nicht durfte: sein Publikum zu einer gottesdienstähnlichen Andacht zwingen wollen -, dem Wiener Neutöner war es erlaubt. »Tatsächlich erheischt Schönbergs Musik von Anbeginn aktiven und konzentrierten Mitvollzug; schärfste Aufmerksamkeit für die Vielheit des Simultanen; Verzicht auf die üblichen Krücken eines Hörens, das immer schon weiß, was kommt; angespannte Wahrnehmung des Einmaligen, Spezifischen und die Fähigkeit, die oftmals auf kleinstem Räume wechselnden Charaktere und ihre wiederholungslose Geschichte präzis aufzufassen.« Auch in der sarkastischen Bemerkung Schönbergs, Zuhörer benötige er nur, »soweit es aus akustischen Gründen unentbehrlich ist, weiPs im leeren Saal nicht klingt«, wollte Adorno nichts Menschenverachtendes erkennen. Im Falle Schönbergs handele es sich um den legitimen Wunsch, seine Werke der allgemeinen Betriebsamkeit zu entheben: »Bei Schönberg hört die Gemütlichkeit auf. Er kündigt einen Konformismus, der die Musik als Naturschutzpark infantiler Verhaltensweisen inmitten einer Gesellschaft beschlagnahmt, die längst erkannte, dass sie sich ertragen lässt nur, wenn sie ihren Gefangenen eine Quote kontrollierten Kinderglücks zukommen lässt. Er versündigt sich gegen die Zweiteilung des Lebens in Arbeit und Freizeit; er verlangt für die Freizeit eine Art Arbeit, die an dieser selbst irremachen könnte.« Dass er damit sinngemäß wiedergab, was Wagner in seinem Entwurf fürs »Festspielhaus der Zukunft« geschrieben hatte, entging dem Philosophen.
    Wie sehr sich auch Schönberg nach einer elitären Institution sehnte, in der seine Werke endlich die Würdigung erfuhren, die ihnen die schnöde Welt vorenthielt, belegt ein Brief, den er im Jahre 1924 an Max Egon II. zu Fürstenberg schrieb. Der deutsch-österreichische Fürst war Schirmherr der »Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst«, die seit 1921 jeden Sommer in dem badischen Städtchen stattfanden. Er hatte Schönberg eingeladen, eine Aufführung seiner Serenade zu dirigieren. Der enthusiastische Komponist antwortete: »Das herrliche Unternehmen in Donaueschingen habe ich lange schon bewundert; dieses Unternehmen, das an die schönsten, leider vergangenen Zeiten der Kunst gemahnt, wo der Fürst sich schützend vor den Künstler gestellt und dem Pöbel gezeigt hat, dass die Kunst, eine Sache des Fürsten, sich gemeinem Urteil entzieht. Und nur die Autorität solcher Personen vermag, indem sie den Künstler teilnehmen lässt an der Sonderstellung, die eine höhere Macht gegeben, diese Abgrenzung allen bloß Gebildeten und Hinaufgearbeiteten sinnlich fasslich vorzuführen, und dazutun den Unterschied zwischen Gewordenen und Geborenen; zwischen denen, die mittelbar zu einer Stelle und Tätigkeit gelangt, und denen, die unmittelbar dazu geboren sind. Darf ich somit, Durchlaucht, meine größte Bewunderung für die große Tat ausdrücken, die die Donaueschinger Kammermusikaufführungen im Kulturleben darstellen, so geschieht es nicht ohne stolz zu sein auf den schmeichelhaften Ruf, durch den Sie mich ehren.« Das musikalische Genie stellt sich auf die Zehenspitzen, um dem Hochwohlgeborenen am Schluss doch nur auf Du und Durchlaucht zu begegnen. Wie viel weniger devot war Wagner »seinem« Ludwig gegenübergetreten!
    Auch in Sachen Nationalismus war Schönberg vom Bayreuther Tondichterfürsten nicht so weit entfernt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. In einem Essay, der zur selben Zeit entstand, in der Schönberg seine Methode der »Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« entwickelte, erklärte er, dass er beabsichtige, »die in der Volksbegabung wurzelnde Überlegenheit der deutschen Nation auf dem Gebiete der Musik« zu sichern. Noch deutlicher wurde er, als er 1923 verkündete, durch die Entdeckung der Zwölftonmusik sei »die Vorherrschaft der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre« garantiert. Schönberg, der Kommunismus und Demokratie gleichermaßen ablehnte, verstand sich weder als österreichischer noch als jüdischer, sondern in emphatischem Sinne als deutscher Komponist. Seine Abkehr vom deutschen Kulturpatriotismus und die Hinwendung zum Judentum begannen erst, nachdem er den wachsenden Antisemitismus am eigenen Leib zu spüren bekam. Endgültig wurden sie, als er vor den Nazis ins Exil fliehen musste.
    Mit Recht würde

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