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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Konsumgütern degradierte. Um aus dieser doppelt fatalen Situation einen Ausweg zu finden, blieb Adorno nichts anderes, als die Wurzel des Übels bei der Kunst selbst zu suchen. Es musste ihm gelingen, »wahre« Werke von »unwahren« zu unterscheiden und zu zeigen, dass nur Letztere dazu angetan waren, mit den totalitären Teufeln zu paktieren und/oder sich von der Kulturindustrie vereinnahmen zu lassen, während sich Erstere dank ihrer Sperrigkeit, dank ihres »Rätselcharakters«, dem barbarischen und dem banausischen Zugriff zugleich entzögen.
    Im Falle Wagners war die Lage für Adorno eindeutig: Dessen Werke machten sich beider Vergehen schuldig. Im Unterschied zu seichteren Wagner-Verächtern begnügte sich Adorno jedoch nicht mit dem Verweis, dass jener Antisemit und einer der Lieblingskomponisten Hitlers gewesen war, und die Nazis ihre Fahnenaufmärsche besonders gern in Bayreuth zelebriert hatten. In seinem Versuch über Wagner erklärte er, dass sich »das Moment der Unwahrhaftigkeit im Wagnerschen Ausdruck […] bis in seine kompositorischen Ursprünge hinab verfolgen« ließ. Vor allem Wagners Leitmotivtechnik, die dieser in seinem Ring perfektioniert hatte, erschien Adorno von einer krankhaften »allegorischen Starre« befallen. Das »peinliche Gefühl«, das ihn bei Wagner überkam, führte er unter anderem darauf zurück, dass dessen Musik »den Zuhörer unablässig am Ärmel« zupfe. Leitmotive waren für Adorno keine echten musikalischen Motive, die nach komplexer Durchführungs- und Variationsarbeit verlangten. Jene erfüllten lediglich eine Signalfunktion, damit selbst der unaufmerksamste Zuhörer den Eindruck haben durfte, im rauschenden Germanen-Dschungel die Orientierung zu behalten.
    Adorno verurteilte die Leitmotive nicht nur als Reklametafeln, die das Gesamtkunstwerk marktschreierisch anpriesen und so den »Warencharakter« der Wagnerschen Musik begünstigten. Schlimmer noch: Sie seien die perfekten Rädchen in einem totalitären Getriebe, da sie keinerlei »Innenleben« besäßen, ihnen jegliche Selbstständigkeit fehle. Was Musik doch gerade in einzigartiger Weise leisten sollte, den »reinen Immanenzzusammenhang von Ganzem und Teilen« herzustellen, sei in der Leitmotivtechnik zur selben brutalen Unterjochung des Einzelnen durchs Ganze pervertiert, die Kennzeichen der gesellschaftlichen Barbarei ist: »Bei Wagner überwiegt denn auch schon das totalitär-herrschaftliche Moment der Atomisierung; jene Entwertung des Einzelmoments gegenüber der Totalität, die echte, dialektische Wechselwirkungen ausschließt […] In Wagners Musik wird bereits jene Entwicklungstendenz des spätbürgerlichen Bewusstseins sichtbar, unter deren Zwang das Individuum umso emphatischer sich selbst hervorhebt, je scheinhafter und ohnmächtiger es in der Realität geworden ist.«
    Nun schepperte aus den Weltempfängern aber nicht nur der »Walkürenritt«, glaubten die Nazis nicht nur in der Götterdämmerung den passenden Soundtrack zu ihren Weltherrschafts- und Untergangsvisionen zu erlauschen. Dasselbe Schicksal ereilte die Werke von Beethoven, Bruckner, Brahms und all den anderen klassischen bis spätromantischen Komponisten, die heute noch bei keiner »Klassik-Hitparade« fehlen dürfen und im »Dritten Reich« - mit Ausnahme der jüdischen Komponisten - landauf, landab gespielt wurden. Musste Adorno einräumen, dass auch diese »das Moment der Unwahrhaftigkeit« bereits in sich trügen?
    Wie schwer sich Adorno mit der Antwort auf diese Frage tat, verrät seine lebenslängliche Beschäftigung mit Beethoven. Hunderte von Notizen, Reflektionssplittern sind überliefert - zum Buch wollten sich die Fragmente nicht zusammenfügen. In seinem Wagner-Essay machte er zwar klar, dass Beethoven für ihn der unvergleichlich wahrhaftigere Komponist war. Anstatt sich leitmotivisch »aufzuspreizen«, komme bei diesem »das Einzelne, der >Einfall< kunstvoll-nichtig« daher, »wo immer die Idee der Totalität den Vorrang« habe. Das musikalische Motiv werde »als ein an sich ganz Abstraktes eingeführt, lediglich als Prinzip des reinen Werdens«, und indem daraus das Ganze sich entfalte, werde »das Einzelne, das im Ganzen untergeht, zugleich auch von diesem konkretisiert und bestätigt«.
    Adorno selbst dürfte bewusst gewesen sein, auf welch schmalem Grat er hier argumentierte. In einer seiner Notizen zum geplanten Beethoven-Buch äußerte er sich deutlich skeptischer, ob dem Inbegriff des »frühbürgerlichen Musikers«

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