Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
gewaltlose Synthesis des Zerstreuten, die es doch bewahrt als das, was es ist, in seiner Divergenz und seinen Widersprüchen […]« Das Wort »Erlösung« wurde von Adorno tunlichst gemieden, doch auch er schrieb der Kunst die nachgerade magische Fähigkeit zu, das neuzeitlich entfremdete Subjekt sowohl mit sich selbst zu versöhnen - »Kunstwerke sind die vom Identitätszwang befreite Sichselbstgleichheit« - als auch mit der stummen, unterjochten Welt, die es umgab: »Was Natur vergebens möchte, vollbringen die Kunstwerke: Sie schlagen die Augen auf.«
    Im Gegensatz zur Schopenhauerschen sieht die Adornosche Ästhetik in der Kunst jedoch kein Quietiv, kein metaphysisches Beruhigungsmittel, das hilft, den Weltschmerz zu betäuben. Wahre Kunst war für ihn nur diejenige, in der sich die Möglichkeit konkretisierte, »es könnte auch anders sein«. Die »Unwahrheit« des Wagnerschen Musikdramas witterte Adorno denn auch darin, dass es keine konkrete Utopie verkörpere, sondern als Ausweg aus dem beschädigten Leben einzig den Nihilismus anzubieten habe: »Als ewig und unaufhebbar spottet es aller Versuche zu seiner Veränderung und nimmt den Widerschein der Würde an, die es dem Menschen vorenthält […] Vor dem Gegensatz zwischen Individualinteresse und totalem Lebensprozess wird die Flagge gestrichen und die Kapitulation als Staatsakt gefeiert.« Die pseudoreligiösen Erlösungsversprechen Wagners reduzierten sich darauf, »Heimgang ohne Heimat« zu sein, »die ewige Ruhe ohne Ewigkeit, das Trugbild des Friedens ohne Substrat dessen, der am Frieden teilhätte«.
    Obwohl Adorno von der Kunst verlangte, Gesellschaftskritik zu sein, war er weit davon entfernt, einer biederen Inhaltsästhetik, wie sie etwa der sozialistische Realismus predigte, das Wort zu reden. Die Humanität der Kunst bestehe gerade nicht darin, dass sie versuche, die Menschheit mit Hilfe irgendwelcher Parolen zu erziehen. »Das Rohe, subjektiver Kern des Bösen, wird von Kunst, der das Ideal des Durchgeformten unabdingbar ist, a priori negiert: Das, nicht die Verkündigung moralischer Thesen oder die Erzielung moralischer Wirkung ist ihre Teilhabe an der Moral und verbindet sie einer menschenwürdigen Gesellschaft.« Eine Gesellschaftskritik ohne Worte, der es auf paradoxe Weise gelang, »das Unversöhnte zu bezeugen und gleichwohl tendenziell zu versöhnen«, konnte sich für Adorno nur in einer »nicht-diskursiven Sprache« artikulieren. Und diese erkannte er, mehr noch als in den anderen Künsten - in der (reinen) Musik.
    Der Gedanke war nicht neu. Bereits die romantischen Musikidealisten hatten ihn - auf naiverem Niveau - vertreten. Neu war die historische Situation. Adorno war der Erste, der versuchen musste, den alten deutschen Kunstidealismus über seinen menschheitshistorischen Bankrott hinaus zu retten. Wer mochte noch allen Ernstes behaupten, dass »bei einer andächtigen Musique […] allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart« sei, dass »die heilende Göttin« der Tonkunst »die Unschuld der Kindheit« wieder einflöße, nachdem nationalsozialistische Schlächter sich in ihren Konzentrationslagern Häftlingsorchester gehalten, bei Schubertschen Streichquartetten Tränen der Rührung vergossen und die Schreckensmeldungen des Krieges mit Liszt verbrämt hatten?
    Im Schmerz über das Grauen hatte Adorno sich 1951 zu der Behauptung hinreißen lassen, »nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben«, sei »barbarisch«. Nur wenige Jahre später, in seiner Ästhetischen Theorie, widerrief er das eigene Verdikt: »Wer Kunst abschaffen will, hegt die Illusion, die entscheidende Veränderung sei nicht versperrt.« Adorno blieb durch und durch Ästhet. Der Weinhändlersohn, der als Kind schon seiner Mutter, der Sängerin, gelauscht und das Klavierspiel bei seiner Tante, der Sängerin und Pianistin, gelernt hatte, wollte, ja konnte die Kunst nicht in die Verbannung schicken. Sie zu retten, bot er all seinen musiktheoretischen Witz, all seine philosophischen Kräfte auf.
    In den Abgrund hatten nicht allein die deutschen Barbaren die Musik geführt. In der Weimarer Republik und später im amerikanischen Exil machte Adorno eine Erfahrung, die ihm - langfristig gesehen - die Kunst noch gravierender zu bedrohen schien: die quietschfidele »Kulturindustrie«, deren Frevel in den Augen des Philosophen nicht nur darin bestand, dass sie selbst leicht konsumierbaren Schund am Fließband produzierte, sondern dass sie auch die »ernsten« Kunstwerke zu bloßen

Weitere Kostenlose Bücher