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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Bereits seine Huldigungsdepesche an den Donaueschinger Mäzen hatte offenbart, dass kompositorisches Können für ihn letztlich nicht zu erwerben, sondern eine spezielle Form des Gottesgnadentums war. Mit Blick auf einen eifrigen, aber eben nicht begnadeten Studenten notierte der Kompositionslehrer: »Es ist zwecklos, die Indizien eines Vulkanausbruchs zu arrangieren, weil der Kundige auf den ersten Blick sieht, dass da nur ein Spirituskocher gewütet hat.«
    In seiner großen (unvollendet gebliebenen) Oper Moses und Aron zeigte Schönberg den jüdischen Religionsstifter als verzweifelt Suchenden, der zwar berufen war, die göttlichen Gesetze auf dem Berg Sinai zu empfangen - an der Aufgabe, diese den Kindern Israels zu vermitteln, aber scheitern musste. Nie zuvor hatte ein Komponist in einer Oper so selbstquälerisch um den Ausdruck des Unsagbaren gerungen, die Musik an ihre Grenzen geführt. Aron versucht, die abstrakte Lehre, die sein Bruder empfangen hat, singend unters Volk zu bringen - und verfälscht, trivialisiert sie damit. Musik verkommt zur Droge, zum orgiastischen Tanz ums Goldene Kalb. Moses, der von sich selbst sagt, dass seine Zunge »ungelenk« sei, darf sie in der ganzen Oper nur an einer einzigen Stelle melodisch lösen. Das göttliche Bilderverbot wird zum Gesangsverbot, seine Botschaft verdammt Moses zu expressivem, aber nichtsdestotrotz sprödem Sprechgesang. »So habe ich mir ein Bild gemacht, / falsch, / wie ein Bild nur sein kann! / So bin ich geschlagen! / So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, / und kann und darf nicht gesagt werden! / O Wort, du Wort, das mir fehlt!« Am Schluss des zweiten Akts verstummen sowohl Moses als auch der Komponist.
    Wollte Schönberg am Ende seines Schaffens den Stab über der Musik brechen, weil sie letztlich doch unfähig war, das, worum es eigentlich ging, auszudrücken? A Survivor from Warsaw, das knappe Melodram, das Schönberg gleichfalls in späten Lebensjahren komponierte, zeugt vom Gegenteil. 1947 hatte der Komponist im kalifornischen Exil durch eine russische Tänzerin einen Prosatext erhalten, der von der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 aus der Sicht eines Überlebenden berichtete. Abermals schreckte Schönberg davor zurück, das Unaussprechliche aussprechlicher zu machen, indem er es singen ließ: Ein Schauspieler rezitiert den englischen Text, durch den die deutschen Befehle der Nazischergen gellen. Im Angesicht des Holocaust ließ Schönberg die Musik dieses Mal jedoch nicht verstummen: Ein Männerchor stimmt unisono das jüdische Glaubensbekenntnis Schma fisrael an, begleitet von dramatisch zerrissenen Orchesterklängen.
    War Adornos hoffnungsvolles Diktum, »der uralte Einspruch der Musik versprach: Ohne Angst leben«, ausgerechnet durch jenes Werk eingelöst worden, das versuchte, eines der größten Menschheitsverbrechen direkt zu thematisieren? Sein Schönberg-Aufsatz von 1953 legt es nahe: »Schönbergs Ausdruckskern, die Angst, identifiziert sich mit der Angst der Todesqual von Menschen unter der totalen Herrschaft […] So wahr hat nie Grauen in der Musik geklungen, und indem es laut wird, findet sie ihre lösende Kraft wieder vermöge der Negation. Der jüdische Gesang, mit dem der Überlebende von Warschau schließt, ist Musik als Einspruch der Menschheit gegen den Mythos.« Um seine These zu stützen, hätte sich Adorno auf eine der wenigen schriftlichen Äußerungen Schönbergs stützen können, in denen der Komponist der Musik dann doch die gesellschaftskritische Rolle zuschrieb, eine Welt mit menschlicherem Antlitz zu verheißen: »Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben. Die nicht mit ihm sich abfinden, sondern sich mit ihm auseinandersetzen. Die nicht stumpf den Motor >dunkle Mäehte< bedienen, sondern sich ins laufende Rad stürzen, um die Konstruktion zu begreifen.«
    Zehn Jahre später, in seinem Aufsatz Engagement, äußerte sich Adorno allerdings deutlich kritischer über den Survivor from Warsaw: »Etwas Peinliches gesellt sich der Komposition Schönbergs, […] als ob die Scham vor den Opfern verletzt wäre. Aus diesen wird etwas bereitet, Kunstwerke, der Welt zum Fraß vorgeworfen, die sie umbrachte.«
    Schönbergs spätes Werk ist verstörend, bis heute. Umso mehr, wenn es, wie in Konzerten des Dirigenten Michael Gielen, zwischen dem dritten und vierten Satz der Neunten Sinfonie von Beethoven erklingt. Aber ist es wirklich der »Einspruch der

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