Die deutsche Seele
für verächtlich gehaltenes] Werk, und jedermann spottete sein und hielt ihn für einen Maulaffen und Frauenmann, so er’s doch tat in […] christlichem Glauben, Lieber, sage, wer spottet hier des andern am feinsten?«
Erziehungsarbeit, angefangen mit den basalsten Verrichtungen wie wiegen und windeln, steigt in den Rang eines Gottesdienstes auf. Es gibt keinen Grund, den Mann von diesem Gottesdienst auszuschließen. Da ist Luther moderner als alle späteren Mutterschaftsapostel, die einwenden, der Mann sei von seiner biologischen Ausstattung her leider nicht dazu geschaffen, sich an der heiligen Brutpflege zu beteiligen.
Den Mutterkreuzzug, zu dem Luther im 16. Jahrhundert aufgebrochen war, setzte ein gläubiger Protestant gut 250 Jahre später leidenschaftlich fort: Johann Heinrich Pestalozzi. Der von seinem Landsmann Jean-Jacques Rousseau tief beeindruckte Schweizer sammelte erste Erfahrungen als Pädagoge, indem er auf dem »Neuhof«, den er gemeinsam mit seiner Frau bewirtschaftete, verwahrloste Bauernkinder aus der Umgebung aufnahm, um sie zu einem schlichten, naturnahen und frommen Leben erziehen. Der Modellversuch einer alternativen Erziehungsanstalt scheiterte. Sogar seinen eigenen Sohn, den er zu Ehren seines Idols »Hans-Jakob« getauft hatte, musste der bankrotte Pestalozzi zu Freunden nach Basel geben.
Anstatt die Rousseauschen Erziehungsrezepte in Frage zu stellen, rückte der Pädagoge, der sich nach seinem praktischen Scheitern aufs Schreiben verlegte, mehr und mehr »die Mutter« ins Zentrum seiner erzieherischen Bemühungen. »Nichts, nichts wird mich hindern«, schrieb er 1804, »bis an mein Grab diesem Gesichtspunkt zu leben und nichts auf der Erde höher zu achten als das Ziel, in den Müttern des Zeitalters das so sehr erloschene und so sehr zerrüttete Gefühl, was sie ihren Kindern von Gottes wegen sein könnten und sein sollten, in ihnen von Neuem wieder zu wecken und zu beleben.«
War Luthers Lieblingsgegnerin noch die Nonne gewesen, die sich dem weltlichen Leben samt Mutterrolle verweigerte, wurde nun das »Weltweib« zur Feindin, die mondäne Dame á la francaise, die sich lieber auf glänzendem Großstadtparkett bewegte, anstatt mit ihren und für ihre Kinder im »Heiligtum ihrer Wohnstube« zu bleiben. »Wenn die Welt lispelt, sie hört ihr Kind nicht mehr schreien«, so verdammte Pestalozzi das »Weltweib«, dessen Kind im Grunde gar keine Mutter hätte, weshalb es besser sei, ihr das Kind wegzunehmen. Doch selbst die herzensbeste und -klügste Erzieherin war nur eine Notlösung, denn »es ist freilich unmöglich, dass ein reines, volles Mutterherz durch irgendeines fremden Menschen Herz ersetzt werden könnte«.
Im 18. Jahrhundert war die »quereile des femmes«, der Streit um die gesellschaftliche Rolle der Frau, auch in Deutschland entflammt. Die emanzipatorische Partei, deren prominentester Vertreter Theodor Gottlieb von Hippel war, glaubte nicht mehr an den großen natur- oder gottgegebenen Unterschied zwischen den Geschlechtern. 1792 plädierte der Schriftsteller und Staatsmann in einer langen Kampfschrift für die »bürgerliche Verbesserung der Weiber« durch Bildung und Wissen. Die »häuslichen Zwinger […], worin sich das schöne Geschlecht befindet«, müssten endlich geöffnet werden, denn es sei unverzeihlich, »die Hälfte der menschlichen Kräfte ungekannt, ungeschätzt und ungebraucht schlummern zu lassen«. Zwar sollte den bürgerlich verbesserten Weibern die Erziehung ihrer Kinder nach wie vor am Herzen liegen, allerdings nicht mehr als den bereits bürgerlich verbesserten Männern. Der Begriff »Mutterfalle« war noch lange nicht geprägt. Doch schon der Aufklärer Hippel ahnte, weshalb es den Männern historisch gelungen war, sich zu den Herrschern über die Weiber aufzuschwingen: »Dieser Stillstand, den Schwangerschaft und Niederkunft verursachten, war, von so kurzer Dauer er auch immer sein mochte, ohne Zweifel der Grund des weiblichen Falles. In diesen Zwischenzeiten der Muße war es, wo das Weib […] sich sein Sklavenschicksal bereitete.«
Nicht weniger frauenliebend und dennoch weit entfernt vom Hippeischen Gleichheitsfeminismus, der 150 Jahre vor Simone de Beauvoir das Kind als »geschlechtslos« erkannte, waren die Anhänger der Romantik. Novalis versicherte seiner Mutter in einem Brief aus dem Jahre 1791, dass »die Vollkommenheit und das Glück der Menschheit sich auf Weiberverstand und Weibertugend gründet«. Gegen die kalte, ins
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