Die deutsche Seele
war Hedwig Dohm. Allerdings wehrte sich die Schriftstellerin, die selbst fünf Kinder hatte und Schwieger-Großmutter von Thomas Mann werden sollte, erbittert dagegen, dass Frauen aufgrund ihres biologischen Geschlechts die geborenen Erzieherinnen seien. Im Gegenteil: »Eine oberflächliche törichte Frau wird ihre Kinder töricht erziehen, und es wäre in diesen Fällen ein Segen für die Kinder, wenn ihre Kraftentfaltung woanders als in der Kinderstube vor sich ginge.«
Für Hedwig Dohm bedeutete Kindererziehung eine höchst komplexe, künstlerisch-ethische Aufgabe, mit der nur derjenige betraut werden sollte, der einerseits das spezielle Talent dazu mitbrachte - sie selbst räumte freimütig ein, dass sie völlig ungeeignet gewesen war, mit ihren Kindern am Ostseestrand Muscheln zu sammeln und Steinchen zu bemalen - und andererseits selbst zur entwickelten Persönlichkeit gereift war. Gerade daran aber mangele es bei den allermeisten Frauen, die nach wie vor dazu erzogen würden, kein »Ich« auszubilden, sondern unselbstständig an der Seite ihres Gatten durchs Leben zu schwimmen. Deutlich besser als an einer unfreien Mutterbrust seien Kinder somit in den Händen eines souveränen Pädagogen aufgehoben: »In dem Erzieher muss gewissermaßen die verdichtete Liebe all der Mütter sich finden, deren Kinder er zu bilden hat, eine Liebe, die frei sein wird von den Schlacken, die das Gold der Mutterliebe verdunkeln, frei von Eitelkeit, Ehrgeiz, von Besitzesstolz und selbstischem Genießen. Die Liebe des Erziehers wird eher vergleichbar sein der Hingegebenheit des Künstlers an sein Werk. Die Erzieher werden, um ein Wort Nietzsches zu gebrauchen, die >männlichen Mütter< sein.«
In der Gegenwart hat sich der Streit, ob Frauen zur Bildung geeignet seien und sich dementsprechend bilden sollten, zumindest offiziell erledigt. Ebenso der Streit, ob Frauen einer (bürgerlich-anspruchsvollen) Erwerbsarbeit nachgehen sollten. Geblieben ist die in regelmäßigen Abständen grell vorgetragene Sorge, was aus der Zukunft des deutschen Volkes wird, wenn sich die Frauen zwar mehr und mehr bilden und mehr und mehr arbeiten - darüber aber weniger und weniger Kinder bekommen.
Auch diese Sorge ist weit älter als die juristisch verankerte Emanzipation. Bereits 1902 machte sich Hedwig Dohm in ihrer brillantesten Schrift Die Antifeministen darüber lustig, dass manche Zeitgenossen meinten, die Menschheit werde aussterben, wenn die Frauen zu studieren begönnen. Im Kaiserreich hatte diese Befürchtung allerdings einen handfesteren Hintergrund: Damals konnten nur unverheiratete, kinderlose Frauen verbeamtet werden, was bedeutete, dass die (wenigen) Frauen, die danach strebten, im preußisch orientierten Beamtenstaat Karriere zu machen, sich tatsächlich gegen Ehe und Mutterschaft entscheiden mussten. Hundert Jahre bevor die Debatte um die »Vereinbarkeit von Beruf und Familie« die Gemüter aufpeitschte, war also der Graben bereits gezogen, von dessen Seiten aus sich heute noch die deutsche Mutter und die »Karrierefrau« beschimpfen, während die berufstätige Mutter über mangelnde Kinderbetreuungsangebote klagt und sich kurz vor dem Überlastungskollaps wähnt.
Es ist zu befürchten, dass die Muttercrux hierzulande so schnell nicht zu lösen sein wird. Zu tief ist sie in der deutschen Seele verwurzelt. Die Mutter soll das letzte, quasi-natürliche Bollwerk gegen die alles zermalmenden Räderwerke der Moderne sein. Das beredteste jüngste Zeugnis dieser Sehnsucht hat die Literaturkritikerin Iris Radisch abgelegt, die 2007 die Neuerfindung der Familie als »Gegenmodell zur Allgewalt der Ökonomie und der Beschleunigung« forderte. Mütter (und Väter) müssten vom Staat mehr Zeit eingeräumt bekommen, so dass sie selbst mit ihren Kindern »über einen Bach oder durchs Gehölz« klettern könnten, anstatt diese einfach beim Ballettunterricht abzuliefern. Gleichzeitig soll die Mutter hoch kultiviert sein. Doch soll sie ihre Kultiviertheit zunächst einmal dazu einsetzen, die degenerationsgefährdeten Sprösslinge zur Natur zu erziehen, bevor sie sich an die zivilisatorische Veredlung macht. Und zu guter Letzt soll sie erkennen, dass Seligkeit hier und nicht im Kampf um gesellschaftlichen Rang und Reichtum schlummert.
Fürwahr: Die deutsche Mutter muss stark wie eine Eiche sein, damit all dies sie nicht umhaut.
[td]
>Dauerwelle, Gemütlichkeit, Kindergarten, Pfarrhaus, Rabenmutter, Reformation, Reinheitsgebot, das
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