Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
Weib

Mystik
     
    Einen Gott für den Todesfall zu haben, ist bekanntlich nicht schlecht. Unvergleichlich besser aber ist, mit ihm schon einmal im Gespräch gewesen zu sein, gewissermaßen aus anderem Anlass, vielleicht sogar aus ganz anderem Grund.
    Wer zu Gott will, und sei es auch nur, um sich mit ihm zu arrangieren, sucht nach einer Gewissheit. Er will an etwas glauben, was ihm und den Seinen glaubhaft erscheint.
    Die Scholastik, in die das Mittelalter seine Theologie eingemeindet hatte, konnte Gottesbeweis und Gottesbezug nur ins Abstrakte heben, den Glauben mit dem Verstand erklären. Es machte die Gottesgeschichte nachvollziehbar, zur Gottesaffäre aber hatte man auf diese Weise wenig beizutragen.
    Wer sich an der Nachvollziehbarkeit der Sache delektiert, wird diese bald genauso wie alles andere als vergänglich erleben, auch er wird sich haltlos vorkommen und dies beklagen.
    Wer das Sichere sucht, trifft irgendwann auf das Heilige.
    Er wird unter anderem feststellen: Gott spricht nicht Latein, es wird nur so wiedergegeben. Religion kann nicht durch Theologie vermittelt werden.
    Religion ist nicht zuletzt Gefühlsausdruck, der Geborgenheit schafft und doch das Unbehaustsein mitschwingen lässt. Wer in seiner Kindheit nicht den Zugang zum Gebet fand, zu dem eigentümlichen Flüstern, das den Wörtern plötzlich ein anderes Gewicht gab, wird dessen Wirkung niemals kennenlernen und schon gar nicht verstehen.
    Die Kirche und ihre Würdenträger haben das Religiöse notgedrungen weltlich erscheinen lassen. Das konnte nicht ohne Erwiderung bleiben. Das Dilemma der Kirche war von Anfang an, dass sie eine Institution verkörpert, und damit in den Verdacht geriet, die Religion verwalten zu wollen.
    Eine der schärfsten Repliken auf das Kirchenmalheur hielt die Mystik bereit. Sie verwies darauf, dass man sich den Zugang zu Gott nicht von der Theologie vorschreiben lassen müsse. Man kürze sinnvoll ab, durch Gebet und Predigt. Den Zugang zu Gott finde man durch die so hergestellte Unmittelbarkeit. Diese wiederum hat ihre Voraussetzungen in Frömmigkeit und Innerlichkeit. Gemeint aber ist das Seelenheil.
    Ihren Anfang nimmt die deutsche Mystik in deutsch-französischer Kooperation: Der neuplatonisch orientierte Bernhard von Clairvaux trifft bei Predigtreisen im Rheinland Hildegard von Bingen. Sie, deren Rezepte aus dem klösterlichen Kräutergarten heute noch zur Anwendung kommen und die mit ihrem Ratgeber Heilwissen. Von den Ursachen und der Behandlung von Krankheiten einen Klassiker der sanften Medizin schuf, gilt als die erste schreibende Ärztin des Abendlands. Ihr Buch wird, nach fast einem Jahrtausend, weiterhin gelesen.
    Hildegard von Bingen (1098-1179) ist die erste aus der Reihe der großen deutschen Mystiker und Mystikerinnen. Sie brilliert auch mit ihren selbst gestalteten Gebeten. Ein Meister Eckhart (um 1260-1328), die große Leitfigur unter den Mystikern des Mittelalters, sagt es in seinen Reden der Unterweisung so: »Das kräftigste Gebet und nahezu das allmächtigste, alle Dinge zu erlangen, und das allerwürdigste Werk vor allen ist jenes, das hervorgeht aus einem ledigen Gemüt, […] das durch nichts beirrt und an nichts gebunden ist, […] und in nichts auf das Seine sieht, vielmehr völlig in den liebsten Willen Gottes versunken ist und sich des Seinigen entäußert hat […] So kraftvoll soll man beten, dass man wünschte, alle Glieder und Kräfte des Menschen, Augen wie Ohren, Mund, Herz und alle Sinne sollten darauf gerichtet sein, und nicht soll man aufhören, ehe man empfinde, dass man sich mit dem zu vereinen im Begriffe stehe, den man gegenwärtig hat und zu dem man betet, das ist: Gott.«
    Die deutsche Mystik des Mittelalters ist aber nach heutiger Maßgabe nicht nur gefühlig, sie nährt auch die alte Aversion gegen die römische Kirche als allzu weltlich gestalteter Institution. Es ist Mechthild von Magdeburg (wahrscheinlich 1207-1282), Verfasserin der wichtigsten mystischen deutschen Schrift des 13. Jahrhunderts Das fließende Licht der Gottheit, die in gelegentlicher Drastik die Domherren als »stinkende Böcke« bezeichnet.
    Zu den an den Möglichkeiten der Mystik Interessierten gehörte in seinen jungen Jahren auch ein Wittenberger Theologe: Martin Luther. Er hat 1518 den von einem unbekannten Autor des 14. Jahrhunderts stammenden Traktat Theologia deutsch herausgebracht, ein dem Eckhart und seinen Vorstellungen verwandtes Werk, aber weniger spekulativ, wie es heißt. Das Phänomen der

Weitere Kostenlose Bücher