Die deutsche Seele
sei, die Berufserschöpften daran zu hindern, sich »zügellos in wilde Zerstreuungen«, in »bacchantische Freuden« und »verderbliches Spiel« zu stürzen. Nur sie bewahre das verlorene - altgriechische - Ideal, »Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung« zu »gatten«.
Endgültig zur verhassten Zwangsjacke, die eine Entfaltung der Persönlichkeit verhinderte, wurde die weltliche Betriebsamkeit den Romantikern. Zwar gingen die Dichter von Novalis über Joseph von Eichendorff bis hin zu E. T. A. Hoffmann mehr oder weniger diszipliniert ihren Brotberufen als Salinendirektor, preußischer Staatsbeamter oder Jurist nach - ihr eigentliches Leben begann aber erst, wenn sie die Amtsgeschäfte ruhen lassen und sich in die Kunst versenken konnten. Frei machte ihnen zufolge nicht jegliche Form von »poiesis«, von Hervorbringen oder Tun; frei machte nur die Poesie.
Das romantische Jenseits war kein Reich, in das einzugehen die Seele erst nach dem Tod hoffen durfte. Bei aller Todesverliebtheit, die die Romantiker zelebrierten, versuchten sie, das Jenseits schon im Hier und Jetzt aufblitzen zu lassen. »Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.« Die Kunst, jenes »Zauberwort« zu treffen, das Eichendorff in seinem Gedicht beschwor, ließ sich weder mit Fleiß noch Disziplin erlernen. Die Welt zum Singen bringen, indem man sich selbst durch die Welt zum Singen bringen ließ - vor dieser heiklen dialektischen Mission musste der brave Handwerker, der die Dinge nach seinen Regeln gestalten wollte, versagen. Einzig das poetische Genie war durchlässig und zugleich stark genug, dass es sich hingeben und dennoch bei sich bleiben konnte, so dass am Schluss beide: Mensch und Welt, wenigstens für einen Augenblick versöhnt waren. Das wahre Leben lag auf dem Grunde - des eigenen Herzens und der Dinge; die Kunst bestand darin, die Oberflächen zu durchdringen. Nur in der Tiefe konnten die Königskinder zueinander finden.
Mit philiströser Geschäftigkeit war da natürlich nichts auszurichten. Der Oberromantiker Friedrich Schlegel ging in seinem Skandalbüchlein Lucinde sogar so weit, den vormals verdammten Müßiggang als »einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb«, zu preisen. Allerdings hatte der Dichter dabei weniger die mittelalterlichen Phantasien eines Schlaraffenlandes vor Augen, in dem die größte Seligkeit darin bestand, dass ein jeder sich nur auf den Rücken zu legen brauchte, und schon flogen ihm die gebratenen Täubchen von selbst in den Mund. Das »unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt«, die »nordische Unart« dieses »leeren, unruhigen Treibens« war für Schlegel von Übel, weil es den Menschen seiner eigentlichen Kreativität beraubte: »Nur mit Gelassenheit und Sanftmut, in der heiligen Stille der echten Passivität kann man sich an sein ganzes Ich erinnern und die Welt und das Leben anschauen. Wie geschieht alles Denken und Dichten, als dass man sich der Einwirkung irgendeines Genius ganz überlässt und hingibt?«
Zum Leidwesen Schillers und der Romantiker blieb die kontemplative Kunstreligion, die den Menschen als Menschen und nicht als Zimmermann, Beamten und Dienstmagd befreien wollte, für den deutschen Durchschnittsschufter jedoch bestenfalls eine Feierabendreligion. Dieser dürfte sich eher von Immanuel Kant erkannt gefühlt haben, der dem »mit gesundem Verstandestalent verbundene[n] Fleiß des Deutschen« bescheinigte, nützlicher zu sein als alles Genie. Oder vom späten Goethe, der in Wilhelm Meisters Wanderjahre das faustische Universalgenie, das die Welt nach allen Seiten durchdrang, verabschiedete. Als dort der junge Wilhelm, der immer noch nach seinem Platz in der bürgerlichen Gesellschaft sucht, trotzig darauf beharrt, dass man »aber doch eine vielseitige Bildung für vorteilhaft und notwendig gehalten« habe, antwortet sein alter Freund Jarno, der sich mittlerweile »Montan« nennt und ganz aufs Steineklopfen spezialisiert hat: »Sie kann es auch sein zu ihrer Zeit […] Ja, es ist jetzo die Zeit der Einseitigkeiten; wohl dem, der es begreift […] Sich auf ein Handwerk zu beschränken, ist das Beste. Für den geringsten Kopf wird es immer ein Handwerk, für den besseren eine Kunst, und der beste, wenn er eins tut, tut er alles, oder, um weniger paradox zu sein, in dem einen, was er recht tut, sieht er
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