Die deutsche Seele
nicht ganz wohl dabei, dass seine Landsleute sich nicht länger »im Äther des Gedankens«, sondern im Rausch der Warenfabrikation verlieren wollten: »Man kann und soll sein Glück, ja sein Leben hingeben - gegebenenfalls - für seinen Staat, für dessen Ehre und vor allem nach dem Worte des Evangeliums für seinen Glauben im Sinne des >Märtyrer<, endlich auch für sein Heil und für höchste geistige Kulturwerte - man soll es nicht für eine maximale Schuhsohlen- und Nähnadelproduktion hingeben. Der Märtyrer seines ökonomischen Arbeitsimpulses ist nicht erhaben; er ist komisch […] Mit demselben heroischen Pathos und mit derselben leidenschaftlichen Unbedingtheit, mit der stolz gelassenen Gleichgültigkeit gegen Leben, Wohl, Glück, mit der Kleists Prinz von Homburg in die Schlacht stürmt - bewundernswert, da er es tut für seinen Staat und seinen König -, darf man einfach nicht Semmeln, Würste und Nähnadeln usw. produzieren […]«
Dem widersprach - zumindest indirekt - Thomas Mann. In seinen Betrachtungen eines Unpolitischen, die wie Schelers Vortrag über den Deutschenhass ebenfalls während des Ersten Weltkriegs entstanden, erklärte der Schriftsteller den »Leistungsethiker«, der »überbürdet und übertrainiert am Rande der Erschöpfung« arbeitete, zur »modern-heroischen Lebensform«. Seiner eigenen Romanfigur Thomas Buddenbrook, der mit 29 Jahren an die Spitze des väterlichen Handelsimperiums rückt und dessen Niedergang nicht verhindern kann, obwohl er sich für die Firma im wahrsten Sinne des Wortes totarbeitet, bescheinigte Mann in jenem Essay, ein Held der »neubürgerlichen Art« zu sein. Zwar stellte der Schriftsteller klar, dass er selbst sich keinen anderen Beruf als den des - bürgerlichen - Künstlers vorstellen konnte. Dennoch betonte er in der Tradition von Meister Eckhart bis Goethe, dass es nicht darum gehe, ob einer große Werke schaffe oder Getreide verschiffe. Was zählt, sei nicht der Inhalt der Tätigkeit, sondern die Haltung, die innere Einstellung, mit der ihr nachgegangen wird: Ordnung, Zielstrebigkeit, Fleiß, das subjektive Bewusstsein, »besser kann ich es auf keinen Fall machen«.
Der Gedanke, dass sich der Bürger als »Leistungsethiker« in heroische Höhen aufzuschwingen vermag, hätte Manns Schriftstellerkollegen Ernst Jünger allenfalls ein aasiges Lächeln entlockt. Der Bürger blieb für ihn ein schlaffer Bourgeois, und wenn er im Kontor bis zum Umfallen schuftete. Allerdings dürfte Jünger auch nicht den Schelerschen Märtyrer der Wurstfabrik vor Augen gehabt haben, als er im Jahre 1932 den Arbeiter zu der Ikone des neuen Zeitalters erhob. Eher schon dürften es die muskulösen Kerle mit schweißglänzenden Oberkörpern gewesen sein, die die Zeit zwischen den Stahlgewittern des Ersten und des Zweiten Weltkriegs damit überbrückten, dass sie den heroischen Kampf im täglichen Funkenregen der Stahlwerke von Thyssen, Krupp, Mannesmann und Co. weiterführten.
SCHÖNHEIT DER ARBEIT
Arbeit war für den Schriftsteller, der den Ersten Weltkrieg als schwer verwundeter und hochdekorierter Leutnant überlebte, die Fortsetzung des Kriegs mit Mitteln, die so anders nicht waren als diejenigen, welche die Schützengräben von Langemarck und Cambrai zur Hölle gemacht hatten. Die moderne Arbeitswelt habe ihr »kriegerisches Sinnbild« in der »feurigen Landschaft«. Das abenteuerliche Herz, das sich nach der Gefahr sehnte, das mit den elementaren Kräften des Lebens ringen wollte, musste erkennen, dass es im 20. Jahrhundert zu den Materialschlachten keine Alternativen mehr gab. Also wurde die Maschine selbst in den Rang einer Urgewalt erhoben, mit der sich zu messen - und zu verbünden - nur der unerschrockene Arbeiter-Krieger wagte.
Wie die Kommunisten und (Nationalsozialisten träumte auch Jünger davon, die bürgerliche Gesellschaft in dieSo stellte sich der NS-Staat seine Arbeitshelden vor. Luft zu jagen. Neben seinem ArbeiterPlakat von 1937.stand der klassische »Proletarier« jedochwie der Spießbürger im Blaumann da. Aus dem Marx-Engels’schen Idyll des Bienenstocks war ein wütender Hornissenschwarm geworden. »Arbeit ist das Tempo der Faust, der Gedanken, des Herzens«, schrieb Jünger, »das Leben bei Tage und Nacht, die Wissenschaft, die Liebe, die Kunst, der Glaube, der Kultus, der Krieg; Arbeit ist die Schwingung des Atoms und die Kraft, die Sterne und Sonnensysteme bewegt.«
Wäre sein Arbeitsbegriff nur ein totaler gewesen, der gegen
Weitere Kostenlose Bücher