Die deutsche Seele
das Gleichnis von allem, was recht getan wird.«
Der Traum einer lustvollen Rundum-Selbstverwirklichung entschwebt, die alte christlich-mystische Vorstellung, dass auch Nesselnsammeln höchste Tätigkeit sein kann, schleicht sich durch die säkularisierte Hintertür wieder ein. Im leer geräumten Domgewölbe steht sie allerdings recht ratlos da und vermag nicht wirklich zu sagen, wozu all die Schinderei gut sein soll. So ist es kein Wunder, dass die Sehnsucht, der Mensch möge auch und gerade in der Arbeit Mensch sein und nicht bloß Rädchen im gerade Schwung holenden kapitalistischen Räderwerk, Mitte des 19. Jahrhunderts noch einmal machtvoll ihr Haupt erhob. Karl Marx - und mit ihm Friedrich Engels - holten die Romantik aus den Tempeln der Poesie heraus und versuchten, sie in die Produktion zu schicken. Bereits in den Pariser Manuskripten von 1844 analysierte der 26-jährige Doktor der Philosophie die Tücken der »entfremdeten Arbeit«: Anstatt in beglückender »Selbsttätigkeit« zu sich selbst zu kommen, zerfalle das Leben des Arbeiters in jene Phasen, in denen er seinen immer begrenzteren und immer stupideren Aufgaben im Betrieb nachgeht, und jene Phasen, in denen er er selbst sein darf: »Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus.« Die Tatsache, dass viele Arbeiter ihre Arbeit flöhen »als die Pest«, deutete für Marx nicht darauf hin, dass sie vom Faulteufel besessen seien, sondern dass in ihnen der Sinn für das, was unentfremdete Arbeit sein könnte, noch nicht gänzlich erstorben sei.
Die Erbsünde der kapitalistischen Produktionslogik lag für Marx darin, dass sie einzig instrumenteile Beziehungen zuließe: Natur werde darauf reduziert, rohes Material zu sein; der arbeitende Mensch werde auf seine Arbeitskraft reduziert, zum Maschinenanhängsel gemacht. Die Freiheit, die der Mensch im Unterschied zum Tier dadurch erlangen könne, dass er imstande sei, mehr und Kunstvolleres zu produzieren, als er zur Befriedigung seiner unmittelbaren Lebensbedürfnisse benötigt, beschränke sich im Kapitalismus auf die Freiheit des Ausbeuters, in »Palästen« zu residieren, während der eigentliche Arbeiter dazu verdammt sei, in »Höhlen« zu hausen.
Wie aber herauskommen ausdieser Entfremdungshölle? In Diedeutsche Ideologie, die Marx gleichfalls noch in jugendlichem Alterzusammen mit Friedrich Engelsverfasste, träumten beide davon, dieArbeit zu befreien. Dies konntenur geschehen, indem die Arbeitsteilung, die der junge Schiller bereits angeprangert und der alteGoethe seufzend zu rechtfertigenversucht hatte, überwunden würde:»Sowie nämlich die Arbeit verteiltzu werden anfängt, hat Jeder einenbestimmten ausschließlichen Kreisder Tätigkeit, der ihm aufgedrängtReich der Notwendigkeit oder Reich der Freiheit?wird, aus dem er nicht herauskann;
Karl Marx bei der Arbeit. Zeichnung von 1939.er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.«
Die Utopie, dass auch eine Ansammlung heiterer Dilettanten ökonomisch überleben könne, weil »die Gesellschaft die allgemeine Produktion« schon irgendwie regeln werde, begann im Laufe der Jahrzehnte zu welken. Statt einer Befreiung der Arbeit sollte es jetzt tendenziell um eine Befreiung von Arbeit gehen. Im Anti-Dühring, den Friedrich Engels ab dem Jahr 1877 veröffentlichte, heißt es: »Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder ohne Ausnähme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, dass für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft - theoretischen wie praktischen - zu beteiligen.« Von der romantischen Sehnsucht, Mensch, Gesellschaft und Natur durch Arbeit in eine lebendige, wechselseitige Beziehung zu bringen, bleibt die Kollektivromantik eines technologisch aufgerüsteten Bienenstocks, in dem
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