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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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der Gesellschaft zu gehen, sondern um die Rückkehr zu den Quellen - zu denen des Christentums und zu denen des Humanismus. Sie gilt es neu zu beleben, beide, will man das Menschenbild, wie das Grundgesetz es vorschreibt, erhalten und als erhaltenswert benennen.
    Reformieren heißt nicht zuletzt umgestalten. Jede Umgestaltung erfordert zunächst die Überprüfung der Statik. Nur wer die Statik respektiert, wird den Einsturz des Gebäudes vermeiden können. Das ist die eine Lehre, die aus den Folgen der Reformation zu ziehen ist, die andere besagt: Es geht, bei christlicher Religion wie europäischer Säkularität, um das eine, das Entscheidende, um die Menschenwürde, um den Kodex, der sich daraus ergibt.
     
    >Grundgesetz, Kirchensteuer, Krieg und Frieden, Reinheitsgebot

Reinheitsgebot
     
    Entgegen dem Klischee ist Deutschland in Sachen Sauberkeit allenfalls eine gediegene Mittelmacht. Zwar fand die erste Internationale Hygiene-Ausstellung im Jahre 1911 in Dresden statt, wo der Erfinder des Odol-Mundwassers Karl August Lingner kurz darauf auch das erste Hygiene-Museum der Welt errichten ließ. Zwar wird der schwäbischen Hausfrau nachgesagt, dass sie während der großen Kehrwoche selbst dem Bürgersteig mit Staubsauger und Feudel zu Leibe rückt, während die schwäbische Landeshauptstadt tatsächlich zu »Let’s putz« aufruft, einem Wettbewerb zwischen den Stadtbezirken Stuttgarts, bei dem es darum geht, »möglichst viele engagierte Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Kinder und Jugendliche, in Gruppen zu organisieren und für gemeinsame Putzaktionen zu gewinnen«. Dennoch: Jeder Japaner hat das Bedürfnis, sich einer Komplcttdesinfektion zu unterziehen, nachdem er mit der Berliner S-Bahn gefahren ist; jeder Geschäftsreisende aus Singapur weiß nicht, zwischen welchen Kaugummi- und sonstigen Auswurf er seinen Fuß setzen soll, wenn er abends durch Frankfurt-Sachsenhausen schlendert; jeder US-amerikanische Austauschschüler hält seine deutsche Gastfamilie für Schweine, sobald er gesehen hat, welch karges Arsenal an Mitteln der Mund- und Intim-Hygiene das fremde Badezimmer bereithält. (Odol allein genügt eben doch nicht.)
    Die Pointe der deutschen Sauberkeit liegt anderswo. Auf den Punkt brachte es Klementine, jenes pfiffig-resolute Reklame-Waschweib, das von 1968 bis 1984 aus dem Fernseher heraus versprach: »Ariel - wäscht nicht nur sauber, sondern rein.« Bis heute geistert der Slogan durchs kollektive Unbewusste.
    Das Misstrauen gegenüber einer bloß oberflächlichen Sauberkeit reicht indes viel tiefer zurück. Es entspringt dem Herzen des Protestantismus.
    Nun lehnt das Christentum insgesamt die Reinigungs-Rituale, wie die beiden anderen monotheistischen Religionen sie vorschreiben, ab. Der gläubige Christ steht vor seinem Gott nicht besser da, indem er aufs Schweinefleisch verzichtet, sich »unreinen« Meeresgetiers wie Aal und Austern enthält und auch darauf achtet, das Böcklein nicht in dessen Mutter Milch zu kochen. Zwar glauben Christen an die reinigende Kraft der Taufe - die Idee, sich von irgendetwas reinwaschen zu können, indem man vor jedem Gebet Hände, Gesicht, Mund- und Naseninneres, Unterarme und Füße wäscht, halten sie bestenfalls für Augenwischerei. Jesus erklärt seinen Jüngern, dass es nicht auf das ankommt, was »zum Mund eingeht«, sondern einzig auf das, was aus dem Munde, sprich: aus dem Herzen, herauskommt. Sein Apostel Paulus bringt es auf die Formel: »Den Reinen ist alles rein; den Unreinen aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern unrein ist ihr Verstand und ihr Gewissen.«
    In der unmittelbaren Nachfolge dieser paulinischen Reinheitsradikalität sieht sich Martin Luther und wirft der real existierenden Papstkirche mit ihren Beicht-Offerten und Ablassgeschäften vor, den ursprünglichen Reinheitsgedanken, wie er im Evangelium geschrieben steht, aufs Schlimmste zu verhunzen. Als Brachial-Klementine des Christentums ruft er in Richtung Rom: »Ja, wasche nur wohl, wie die Sau, wenn sie im Kot sich schwemmet, oder wenn sie wohl gebadet und gewaschen ist, wieder im Kot wälzet und bleibet doch eine Sau, wie sie ist.«
    Blickt man ins Register des berühmtesten Ablasspredigers der Luther-Zeit, jenes Johann Tetzel, der in Sachsen einen florierenden Handel mit Sündenvergebung betrieb und wohl der konkrete Auslöser war, dass der Reformator im Oktober 1517 zu Wittenberg seine 95 Thesen verbreitete, wird der protestantische Zorn verständlich: Von »Sodomie«

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