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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Klöster als teuflische Einrichtungen, seine historisch folgenreiche Aufforderung, die Orden aufzulösen und die Klöster zu schließen, wird nicht zuletzt seiner eigenen Verzweiflung darüber entsprungen sein, dass er selbst keins von »Gottes besonderen Wunderwerken« ist, sondern zur Masse der Verworfenen gehört, die nur hoffen kann, dass ihr Fleisch wenigstens in der Ehe »gedämpft« wird. In dem Maße, in dem die Keuschheit als Inbegriff der christlichen Reinheit zurückgedrängt wird, wird die Ehe als Möglichkeit, sich trotz Fleischeslust irgendwie rein zu erhalten, aufgewertet. Um diesen theologischen Salto mortale zu vollbringen, nimmt Luther einigen Anlauf: 1519, sechs Jahre vor seiner eigenen Hochzeit, vergleicht er den »ehlich Stand« noch mit einem »Spital der Siechen« - seit Adams Fall könne er »nicht mehr rein« sein. In einer späteren Tischrede erklärt der Ehemann und Familienvater Luther dann, dass Gott die »heilige Ehe eingesetzt« habe, »damit jeder sein Gefäß in Reinheit erhalte«. Es lässt sich darüber streiten, ob der Reformator damit ein menschenfreundlicheres und realistischeres Christentum geschaffen hat als der Katholizismus, der bis heute am Keuschheitsgelübde des Klerus festhält, oder ob es sich bei der »reinen Ehe«, die ohne Scham im evangelischen Pfarrhaus gedeihen darf, um eine höchst widersprüchliche Verlegenheitslösung handelt.
    Im 18. Jahrhundert beginnen auch die deutschen Aufklärer, die Religion in ihre vernünftigen Schranken zu weisen. Das Ideal der Reinheit wollen sie dabei mitnichten auf den Schrottplatz der Ideologien werfen. So betont Gotthold Ephraim Lessing in seinen Anleitungen zur Erziehung des Menschengeschlechts mehrfach, dass es um die »Reinigkeit des Herzens« gehe. Einzig sie - und nicht die Furcht vor höllischer Strafe oder die Aussicht auf paradiesische Belohnung - befähige den aufgeklärten Menschen, »die Tugend um ihrer selbst willen« zu lieben. Auch Friedrich Schiller kommt in seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen an der Reinheit nicht vorbei. Zur letzten Bastion des Reinen werden ihm »das Schöne« und die »ästhetische Erfahrung«, die der Mensch macht, wenn er sich ganz in die Betrachtung des Schönen versenkt: »Hier allein fühlen wir uns wie aus der Zeit gerissen; und unsre Menschheit äußert sich mit einer Reinheit und Integrität, als hätte sie von der Einwirkung äußrer Kräfte noch keinen Abbruch erfahren.«
    Die alten protestantischen Sehnsüchte schimmern durch, wenn Schiller von einem Kunstwerk verlangt, dass es weder die Leidenschaften anstacheln noch zerstreuen solle, sondern »ästhetische Reinigkeit« fordert: »Das Gemüt des Zuschauers und Zuhörers muss völlig frei und unverletzt bleiben, es muss aus dem Zauberkreise des Künstlers rein und vollkommen, wie aus den Händen des Schöpfers gehen.«
    Noch wichtiger wird die Reinheit für Immanuel Kant. In seiner Kritik der reinen Vernunft unternimmt der Philosoph aus Königsberg den ebenso gewagten wie gewaltigen Versuch zu beweisen, dass eine »schlechterdings von aller Erfahrung unabhängige« Erkenntnis möglich sei: »Es heißt aber jede Erkenntnis rein, die mit nichts Fremdartigen vermischt ist. Besonders aber wird eine Erkenntnis schlechthin rein genannt, in die sich überhaupt keine Erfahrung oder Empfindung einmischt.« Parallel dazu preist der Philosoph das »Land des reinen Verstandes« bzw. »das Land der Wahrheit (ein reizender Name)«, als eine Insel, »umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, und indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen, und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann«.
    So wie Kant dem Erfahrungswissen zutiefst misstraut, misstraut sein kritischer Freund Johann Georg Hamann dem kantischen Vorhaben, die Vernunft von allen empirischen, emotionalen, historischen und sonstigen »Einmischungen« reinigen zu wollen. In seiner Metakritik über den Purismum der Vernunft entlarvt der Aufklärer, der selbst wieder zum lutherischen Glauben zurückgekehrt ist, die Idee einer »reinen« Vernunft als pseudo-religiöse Vermessenheit. Wie der Reformator einst den Papstkirchlern, wirft Hamann nun (dem protestantisch-pietistisch geprägten) Kant vor zu glauben, er könne sich aus

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