Die deutsche Seele
(worunter jegliche Form der Unzucht fiel) konnte man sich für zwölf Dukaten freikaufen, »Hexerei« kostete immerhin noch sechs Dukaten, wohingegen »Elternmord« mit vier Dukaten vergleichsweise günstig zu sühnen war. Für den ebenso notorischen wie solventen Sünder gab es die Möglichkeit, ein Konto anzulegen, auf das er für die Zukunft einzahlen konnte, damit gar nicht erst Gewissensbisse aufkamen, wenn er sich das nächste Mal an des Fuhrknechts hübschem Söhnchen verging.
Der Luthersche Reinheitsfuror richtet sich allerdings nicht nur gegen derlei offensichtlich bigotte Missstände. Er stellt überhaupt in Frage, dass der Mensch durch »gute fromme Werke«, durch gottgefälligen Lebenswandel, durch tätige Buße etwas zur Reinheit seines Herzens beitragen kann. Zwar fordert er den Christen auf, dass er »von Tag zu Tag reiner und reiner werden« müsse - gleichzeitig kanzelt er alles, was der Mensch seit dem Sündenfall tut, als »Torheit und Unreinigkeit« ab, um zu dem Schluss zu kommen: »Meine Seele ist rein, nicht durch Werke, sondern durch die Gnade Gottes.« Dem Protestanten bleibt somit nur eine Hoffnung auf Reinigung: Büß und Reu müssen das Sündenherz entzweiknirschen. Doch selbst dann darf er nicht gewiss sein, dass der Herr ihm tatsächlich Gnade angedeihen lassen wird.
In seiner Gnadenlehre zeigt sich Luther, der aus der Kutte gesprungene Augustinermönch, als strenger Schüler des spätantiken Kirchenlehrers. Wie Augustinus beharrt auch er darauf, dass sich der »Sündenklumpen« Mensch nicht einbilden soll, er könne sein Geschick in irgendeiner Weise selbst beeinflussen:
Wäre göttliche Gnade die Belohnung für gutes Verhalten, wäre sie keine Gnade mehr, sondern etwas, das der Mensch aus eigener Kraft erringt. Um aber überhaupt etwas Gutes in der Welt vollbringen zu können, muss mir Gott seine Gnade bereits geschenkt haben. Christlicher Glaube im Teufelskreis.
So unsicher Luther in der Frage ist, ob es für den Menschen einen gelingenden Weg zur Reinheit geben kann, so sicher ist er, wenn es darum geht, die real praktizierten Irrwege anzuprangern. Als einer der schlimmsten erscheint ihm just jener, der dem Christentum bislang als Königsweg zur Reinheit, wenn nicht gar Heiligkeit galt: Askese. Verzicht auf alles Leibliche, Erotische. Rückzug ins Kloster.
Falls es überhaupt eine irdische Verkörperung des christlichen Reinheitsideals gibt, ist es die Jungfrau. Allen voran die Heilige Jungfrau Maria, die von der katholischen Kirche noch immer als »Immaculata«, als »Unbefleckte«, verehrt wird. Mehr schlecht gelaunt als begeistert muss auch Luther zugestehen, dass die Muttergottes eine reine Jungfrau gewesen sei, und dass echte Jungfrauen (beiderlei Geschlechts) als »hohe reiche Geister von Gottes Gnaden auf gezäumet« und »Gottes besondere Wunderwerke« zu betrachten seien. Von diesen gebe es jedoch »unter tausend Menschen nicht einen«. Die allermeisten »Pfaffen, Mönch und Nonnen« seien hinter ihren Klostermauern in erster Linie damit beschäftigt, sich zu kasteien, um die Begierden, die sie sehr wohl verspürten, abzutöten. Damit aber handelten sie schändlicher, als wenn sie ins weltliche Leben hinausgingen, sich dort einen Ehemann/ein Eheweib suchten und dem göttlichen Befehl, »sich zu samen und zu mehren«, nachkämen.
Luthers heikle Gnadenlehre und radikale Zurückweisung der Willensfreiheit zeigen ihre Spuren auch hier: Keuschheit ist nichts, was der Mensch durch sein aktives Tun (oder Unterlassen) erreichen (oder bewahren) kann, sondern ein Geschenk Gottes. »Gezwungene, unwillige Dienste« lässt der Herr nicht gelten. Wer den verdammten Trieb in sich spürt, muss erkennen, dass er schon verloren ist.
Der ehemalige Mönch, der mit der entflohenen Ordensschwester Katharina von Bora zwischen seinem 43. und 52. Lebensjahr sechs Kinder zeugen wird, weiß, wovon er spricht. In seinem Sermon von dem ehlichen Stand verleiht er der Fleischespein bildlichsten Ausdruck: »Dieweil dann eins sich also an das andere bindet und gefangen gibt, dass es dem Fleisch alle anderen Wege versperret und sich an einem Bettgenossen genügen lässt, so sieht Gott an, dass das Fleisch also gedämpft wird, dass es nicht kreuzwegs durch die Stadt wütet, und lässt gnädig zu, dass derselben Lust in solcher Treu etwas nachgelassen wird, auch mehr denn zur Frucht Not ist, doch dass man sich mit Ernste mäßige und nicht einen Mist- und Saupfuhl draus mache.«
Luthers Sturm gegen die
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