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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Epoche. Hutten war einer der Hauptverfasser der Dunkelmännerbriefe, die sich in satirischer Absicht und Manier gegen die Scholastik richteten. Er ist auch der Erfinder des Hermannsschlacht-Mythos. Arminius und die Varusschlacht spielten in der mittelalterlichen Öffentlichkeit keine Rolle. Erst die Reformationszeit, speziell Ulrich von Hutten, entdeckte ihn als brauchbare Figur für die Belebung des Kampfes gegen Rom. Man schuf den »Hermann« und damit auch die Vorlage für Heinrich von Kleists Drama.
    Luther war kein Mann des Aufstands und des Aufruhrs. Er befürwortete die Bauernkriege nicht. Luther war kein Revolutionär, mehr noch, seine Reformation wird der Revolutionsidee in Deutschland den Boden entziehen. Er war ein Mensch des 16. Jahrhunderts. Er konnte Mönch sein und Mystiker, Theologe und Vordenker. Das folgenreichste Manöver bestand aber nicht in der neuerlichen Spaltung der Christenheit, sondern in den Folgen der Anerkennung dieser Spaltung. Der Kompromiss von Augsburg war, so gesehen, der erste Schritt zum Dreißigjährigen Krieg.
    Luthers Wirken für die Geschichte der Deutschen ist weitaus komplizierter als seine Rolle in der Kirchenreform. Im Klartext: Wäre Preußen ohne Luther zur europäischen Großmacht aufgestiegen und hätte es die Grundsteinlegung des wilhelminischen Kaiserreichs vornehmen können? Ohne die Kirchenspaltung hätte man wohl kaum eine überzeugende Trennlinie zwischen Preußen und Österreich ziehen können. Keine kleindeutsche Lösung also ohne den Protestantismus?
    Luther gehört zu den großen Verklärten des 19. Jahrhunderts. Preußens neu geschaffenes Kaiserreich - das des Eisernen Kanzlers Bismarck und des Mannschen Untertans Diederich Heßling, der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm und des Genius Stefan George, des Abenteurers und Kolonialtraumverwalters Carl Peters und des Avantgarde-Förderers und Starra-Herausgebers Herwarth Waiden - der erste moderne deutsche Großstaat benötigt und verbraucht zu seiner Legitimation die gesamte deutsche Geschichte. Es macht sie zur Vorgeschichte.
    Luther ist heute eine Ikone, er ist sogar eine heutige Ikone, also eine ohne nennenswerte Botschaft. Mehr Logo als Vorbild. Seine Kirche jedoch, die im Gesamtprotestantismus aufgegangen ist, hat ihre staatstragende Rolle zwar nicht eingebüßt, aber ihr Einfluss ist begrenzt.
    Durch die Reformation hat die deutsche Gesellschaft an Selbstbewusstsein gewonnen, was aber hat die Kirche letzten Endes davon gehabt? Die Gesellschaft hat alles an kirchlicher Toleranz für sich in Anspruch genommen, während die Kirche mit jedem Zugeständnis an das säkulare Regiment an Bedeutung verloren hat. Nach fünfhundert Jahren Reformation ist die evangelische Kirche von ihrem Ziel der biblisch inspirierten Lebensgestaltung weiter denn je entfernt. Sie wurde durch die Reform nicht gestärkt, sondern in die Defensive gebracht. Von ihrem Weltbild, das sie zu vermitteln hatte, ist nichts weiter übrig als die Denkmuster und Verhaltensweisen, die man gern als protestantisch bezeichnet und zum Gegenstand spekulativer Abhandlungen macht, in denen es vor allem um den Zusammenhang von Religion und Arbeitsethos geht.
    Am Ende steht die evangelische Kirche auch nicht besser da als ihre konservative Rivalin, der Katholizismus. Angesichts der Folgen der Reformation ist zu konstatieren, dass die Reformidee für die deutsche Gesellschaft von größerer Bedeutung war als für die Kirche. Die großen christlichen Kirchen haben in der Öffentlichkeit heute das gleiche Problem. Indem sie um Akzeptanz werben, büßen sie immer mehr an Autorität ein, und indem sie immer mehr an Autorität einbüßen, müssen sie weiter um Akzeptanz werben.
    Die deutsche Mentalität ist zwar christlich imprägniert, protestantisch und katholisch, die Gesellschaft folgt aber nicht dem Ethos des Evangeliums.
    Das Problem der offenen Gesellschaft von heute ist, dass sich die kirchlich grundierten Moralvorstellungen im säkularen Rahmen nur bedingt verankern lassen. Man kann ebenso wenig Rechte zu Pflichten machen, wie man Pflichten zu Rechten erklären kann. Pflichten sind geboten, Rechte zu beanspruchen. Wie aber soll man das ohne eine als unumstößlich empfundene göttliche Ordnung durchsetzen?
    Der säkularen Gesellschaft fehlt das Absolute und damit auch dessen Festigkeit. Nicht alles, was Orientierung geben könnte, ist abstimmungskompatibel.
    Wenn man heute von Reformation spricht, so hat es nicht um die Anpassung der Kirchen an die Eskapaden

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