Die deutsche Seele
Leidensschwester. Als 21-Jährige klagte sie in einem Brief: »Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch, mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann! Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges, aber unverbesserliches Missverhältnis in meiner Seele; und es wird und muss so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft.«
In den folgenden Jahren arbeiteten verschiedene Männer daran, das Herz dieser Wilden zu brechen. Clemens Brentano forderte die Kollegin, die eng mit seiner Schwester Bettine befreundet war, auf: »So öffne alle Adern Deines weißen Leibes, dass das heiße schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze! So will ich Dich sehen und trinken aus den tausend Quellen, trinken, bis ich berauscht bin und Deinen Tod mit jauchzender Raserei beweinen kann, weinen wieder in Dich all Dein Blut und das meine in Tränen, bis sich Dein Herz wieder hebt und Du mir vertraust, weil das meinige in Deinem Puls lebt.«
Nicht der Liebesbrief als solcher war das Problem. Im Gegenteil: Als romantische Dichterin verzehrte man sich nach solchen Briefen. Das Problem war, dass er vom Falschen kam. Die Günderrode schätzte Brentano als Dichterkollegen, nicht als Mann. Verliebt war sie zu jener Zeit in den angehenden Juristen Friedrich Carl von Savigny - der ihren Gefühlssturm damit erwiderte, dass er eine andere Brentano-Schwester, das liebe »Gundelchen«, heiratete und seinem »dumm Günderrödchen« befahl: »Sei mir nicht mehr betrübt, wenn Du mich siehst! Vielmehr musst Du mir, Savigny, an den Hals springen und mich küssen. Hast’s gehört!«
Den Rest besorgte der Mythen- und Altertumsforscher Friedrich Creuzer, der Nächste, an den die Günderrode ihr Herz verschleuderte. Auf Druck seiner Ehefrau beendete der Professor das Verhältnis mit der Stürmischen - im Sommer 1806 griff die 26-Jährige zu dem Dolch, den sie schon lange für diesen Zweck aufbewahrt hatte, ging an den Rhein und erstach sich. Als postumen Liebesdienst sorgte der ehrbare Professor dafür, dass Karoline von Günderrodes letztes Werk, Melete, in dem er sich erkannt fühlte, auch zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht wurde.
Die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf und bundesrepublikanische Feministinnen entdeckten die Günderrode in den 1970er Jahren wieder, nachdem bereits zu ihrem hundertsten Todestag 1906 eine Werkausgabe erschienen war. Doch bis heute fragt sich kein gewöhnlicher Rheinreisender, was es bedeuten soll, wenn er an dem Ortchen Winkel vorüberfährt, auf dessen Friedhof die Unglückliche begraben liegt. Daran vermochte auch nichts zu ändern, dass sie in dem Dichter Stefan George doch noch ihren Heine fand, der ihr nachsang: »Du warst die Huldin jener sagengaue: / Ihr planlos feuer mond und geisterscheine / Hast du mit dir gelöscht hier an der aue […] / Ein leerer nachen treibt im nächtigen Rheine.«
Zu dessen Grund zog es auch den zeitlebens elenden Komponisten Robert Schumann. Seit seinen Studententagen in Heidelberg träumte der gebürtige Sachse davon, seinen wahlweise als »himmlisch«, »ledern«, »auflösend« oder »poetisch« empfundenen »Katzenjammer« nicht länger im Wein, sondern gleich im Rhein zu ertränken. Auch er litt an der Liebe wie an der Welt. Erst hielt ihn seine angebetete Clara, die damals noch Wieck hieß und ein international gefeiertes Wunderkind am Klavier war, damit hin, dass seine finanzielle Situation zu wünschen übrig ließe und sie ihn deshalb nicht heiraten könne. Als sie dann endlich Clara Schumann geworden war, vermochte sie seinen Lebensschmerz jedoch auch nicht dauerhaft zu lindern - was mehr an der Aussichtslosigkeit der Aufgabe denn an ihr gelegen haben dürfte. Die achtfache Mutter, Konzertpianistin und Komponistin nahm erstaunliche Rücksicht auf die verdüsterte Seele ihres Mannes, indem sie sich etwa erst wieder ans Klavier setzte, als sich das Ehepaar eine Wohnung leisten konnte, die groß genug war, dass es ein eigenes, entfernt gelegenes Zimmer für Clara gab, in dem ihr Spiel den Meister nicht störte.
Am Rosenmontag 1854 verließ der Komponist im strömenden Regen das Haus, das er und seine Familie in Düsseldorf bewohnten, und ging an den Rhein. Die Benutzung der Pontonbrücke kostete Geld, Schumann aber war nur mit einem Schlafmantel bekleidet, also überreichte er dem
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