Die deutsche Seele
Ruine übers Bett gehängt und die dazugehörigen Geschichten erzählt.
Das Gezerre um den Rhein begann im Spätherbst 1794, als französische Revolutionsheere die linksrheinischen Gebiete besetzten. Das Unglück der betroffenen Rheinländer hielt sich anfangs jedoch in Grenzen - man war den Flickenteppich aus zig rivalisierenden Kurfürstentümern ohnehin leid, und als Napoleon kam, freute man sich über die liberaleren, einheitlicheren Gesetze, die er mitbrachte. In Wallung geriet das deutsche Blut erst nach den Befreiungskriegen, nachdem sich die Franzosen wieder hatten vom Rhein zurückziehen müssen.
Die Parole gab der Dichter und spätere Politiker Ernst Moritz Arndt mit seiner Schrift Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze aus. Plötzlich schwebte der alte Geist Karls des Großen wieder über den Wassern: Die Germanen wollten sich nicht noch einmal an die Peripherie der abendländischen Zivilisation drängen lassen. Zwar war man nach wie vor keine politische Nation, dafür aber umso stolzere Kulturnation geworden.
Ein regelrechter Sängerkrieg brach aus, als die französische Regierung im Jahre 1840 erneut Anspruch auf die linksrheinischen Gebiete erhob. Vom rechten Ufer rief Max Schneckenburger: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall, / Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: / Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! / Wer will des Stromes Hüter sein? / Lieb Vaterland, magst ruhig sein; / Fest steht und treu die Wacht am Rhein.«
In Paris wurde die teutonische Kampfansage, die in Zeiten deutsch-französischer »Erbfeindschaft« zur heimlichen Nationalhymne aufstieg, mit Pathos erwidert: »Au premier coup de bec / Du vautour germanique, / Qui vient te disputer ta part d’onde et de ciel, / Tu prends trop tot l’essor, roi du chant pacifique, / Noble cygne de France, á la langue de miel.«
(Da das Gedicht von Edgar Quinet nie offiziell ins Deutsche übertragen wurde, möge die prosaische Hilfestellung genügen: »Der erste Schnabelhieb des germanischen Geiers, der dir deinen Anteil an Wogen und Himmel streitig macht, lässt dich schon auffliegen, König des friedlichen Gesangs, edler Schwan Frankreichs mit der honigsüßen Zunge.«)
Die nächste Runde im Sängerkrieg, der nun auch zu einer ornithologischen Schlammschlacht ausuferte, eröffnete Nikolaus Becker: »Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein, / Ob sie wie gierige Raben / Sich heiser danach schrei’n. / Solang er ruhig wallend / Sein grünes Kleid noch trägt, / Solang ein Ruder schallend / In seine Woge schlägt.«
Während Robert Schumann und andere Komponisten dafür sorgten, dass sich die Verse in jedem deutschen Ohr festsetzten, konterte Alfred de Musset: »Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein. / In unser’m Glas sah’n wir ihn funkeln. / Mit eures Schlagers Prahlerei’n / Wollt ihr die stolze Spur verdunkeln, / Die uns’rer Rosse Huf grub Euch ins Blut hinein.«
Zwischen die Fronten begab sich Heinrich Heine von Paris aus. In seinem Epos Deutschland. Ein Wintermärchen freuen sich Vater Rhein und sein verlorener Sohn zwar heftig, sich nach dreizehn Jahren endlich wiederzusehen. Doch gleich geht es um Politik. Heines Rhein klagt, wie schwer ihm »die Verse von Niklas Becker« im Magen lägen: »Er hat mich besungen, als ob ich noch / Die reinste Jungfer wäre, / Die sich von niemand rauben lässt / Das Kränzlein ihrer Ehre. // Wenn ich es höre, das dumme Lied, / Dann möchte’ ich mir zerraufen / Den weißen Bart, ich möchte fürwahr / Mich in mir selbst ersaufen.«
Drum sehnt sich der Alte nach den »Französchen« in ihren »weißen Höschen« zurück, bis der Dichter ihm versichert, dass auch die Franzosen auf dem besten Weg seien, deutsche Philister zu werden.
Nur ein souveräner Spötter wie Heine konnte erkennen, was den nationalistischen Federrasslern in beiden Lagern entging: Unter all dem martialischen Getöse hatte sich der Vater Rhein endgültig in ein hilfloses, schutzbedürftiges Wesen verwandelt - ein Bild, das es zuvor so deutlich nur in römischen Zeiten gegeben hatte, wo er immer wieder als gefesselte Kriegsbeute dargestellt worden war.
Noch verdrehter wurden die rheinischen Geschlechterrollen, als 1883, zwölf Jahre nach dem großen Sieg über Frankreich und der anschließenden Reichsgründung, in Rüdesheim das Niederwalddenkmal, die steinerne »Wacht am Rhein«, errichtet wurde. Denn wer steht dort, stolz aufs Schwert gestützt, um die »heilige Landesmark« zu
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