Die deutsche Seele
Mitgliedern eines Tages ja doch noch, dieses höchste Gütesiegel der Vereinsmeierei zu erringen. Seine legendäre Kampagne aus den 1970er Jahren »Freie Fahrt für freie Bürger« war immerhin ein klares weltanschauliches Bekenntnis. Noch besser wäre es, er erklärte frei nach einer im 19. Jahrhundert beliebten Devise als Ziel und Zweck seiner Vereinsexistenz: »Wir wollen nicht allein Autofahrer, wir wollen auch Menschen sein.«
>Fahrvergnügen, Feierabend, Fussball, Gemütlichkeit, Hanse, Männerchor, Ordnungsliebe, Schrebergarten, Spiessbürger, Wanderlust
Waldeinsamkeit
Der Wald ist groß. Der Wald ist finster. Im Wald bist du allein. Mit Wölfen, die dich zu Abwegen verleiten, wenn du der Großmutter Kuchen und Wein bringen willst. Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die ringsumher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig hausen in dem Wald…
Du bist allein mit Hexen, die dich in ihr Knusperhäuschen locken und mit Pfannekuchen, Äpfeln, Nüssen mästen. Doch ehe du dich’s versiehst, sitzt du im Stall und sollst gefressen werden.
Hinter jedem Stamm lauert ein Holländer-Michel, der es auf dein Herz abgesehenhat. Und nur wenn du so unschuldig bistwie der Kohlenmunk-Peter, erscheint dirdas Glasmännlein und hilft, dein gestohlenesHerz zurückzuerobern.Schulwandbild um 190 5.
Im deutschen Wald darf das Obskure seine phantastischsten Blüten treiben. Kein Wunder, dass er den Angehörigen von Völkern, die sich früher und rückhaltloser als die Deutschen zu Fußbodenheizung, manierlichen Umgangsformen und bürgerlichem Recht, kurz: zur Zivilisation, bekannt haben, nie recht geheuer war. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus bescheinigte in seiner Germania dem rauen Land hinter dem Limes, »mit seinen Wäldern einen schaurigen, mit seinen Sümpfen einen widerwärtigen Eindruck« zu machen. Selbst Caesar, der Unerschrockene, berichtete nicht ohne Schaudern von jenem »Hercynischen Wald« (gemeint sind die dicht bewaldeten Mittelgebirgszüge von den Donauquellen bis nach Siebenbürgen), in dem es vor sonderbar gehörnten Tieren wimmle und aus dem auch der geübte Marschierer erst nach sechzig Tagen wieder herausfinde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gar soll ein britischer Verbindungsoffizier auf den Vorschlag eines Hamburger Buchhändlers, Grimms Märchen in den Kanon der demokratisch unverdächtigen Bücher aufzunehmen, geantwortet haben: »Oh no, that’s too much wood!«
Doch plötzlich bricht die Sonne durchs Blätterdach, die düstren Stämme schimmern silbrig, der moosige Boden leuchtet im zartesten Grün, und in dem Astloch, das dich eben noch so finster angestarrt hat, entdeckst du einen emsigen Käfer bei der Arbeit. Verschwunden sind die Spukgestalten, und du bist bereit, Adalbert Stifter, dem Schriftsteller des Biedermeier, der kaum eine Erzählung geschrieben hat, die ohne Wald auskommt, zu glauben, wenn er versichert: »Alle, die je in jene Waldländer gerieten, fanden eine schöne Wildnis voll gesunder Blumen, Kräuter und herrlicher Bäume, die Wohnung unzähliger fremder Vögel und Tiere, aber nicht das mindeste Verdächtige.«
Deine Seele möchte vor Erleichterung jauchzen, doch kommt ihr ein Waldvöglein zuvor, das schöner singt, als du es je könntest: »Waldeinsamkeit, / Die mich erfreut, / So morgen wie heut’ / In ew’ger Zeit, / O wie mich freut / Waldeinsamkeit.«
Aber kannst du dem zierlichen Sänger wirklich vertrauen? Du versuchst, dich an deine Schullektüre zu erinnern: War es nicht Ludwig Tieck, der romantische Dichter, der dies Vöglein so hinreißend singen lässt? Es fällt dir wieder ein: Der blonde Eckbert, so heißt das Rittermärchen. Ein ungeliebtes Mädchen flieht aus seinem Elternhaus in den Wald und findet dort jenen Frieden, den ihm die Welt verwehrt. Steht dort auf der Lichtung nicht die Klause, in der das Kind sein beschaulich geborgenes Leben führt? Doch halt! Überlege es gut, bevor du anklopfst! Das Mädchen Bertha lebt nicht mehr. Musste sterben, weil seine Sehnsucht nach Prinzen es aus dem Wald getrieben hat. Waldverrat rächt sich. Wer im Wald einmal heimisch geworden ist, den lässt er nicht mehr los. Den holt er zurück, selbst wenn er sich in Ritterburgen verschanzt.
Einer, der dies sehr genau wusste, war Ernst Jünger, der Autor, der die Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs pries, um nach
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