Die deutsche Seele
arbeiteten. Das Fräuleinwunder schaffte den Aufstieg aus eigener Kraft. Sie war die kleine Schwester oder Tochter jener Frauen, die sich in den Trümmern der deutschen Großstädte die Kittelschürze anzogen und ans große Aufräumen machten. Nicht weniger diszipliniert, nicht weniger desillusioniert, aber weit glamouröser ging das Fräuleinwunder daran, sich und der Welt zu beweisen, dass vielleicht das Land, nicht aber die Deutschen am Boden zerstört waren. »Ich habe in der Nachkriegszeit gelernt, dass man nicht passiv dasitzen darf und auf die Glückssträhne warten. Es gibt kein Glück. Also Augen auf, Ohren auf und das Leben angepackt.« Mit diesen Sätzen beschrieb in den 2000er Jahren das Seniorenmodell Gerti Schacht, das bei der ersten Nachkriegsmodenschau in Berlin als junges Mannequin zwischen den Trümmern umhergestakst war, den Geist der »Stunde null«.
Die Amerikaner hingegen wunderten sich in der Tat, dass so kurz nach Kriegsende schon wieder hübsche, nicht verhärmte Frauen aus dem gefallenen Land über den Atlantik geflogen kamen. Im April 1952 widmete das Li/e-Magazin Susanne Erichsen eine dreiseitige Fotostrecke, die mit der erstaunten Bemerkung eröffnet wurde, dass sich ein »plump prewar Mädchen« in ein »fashionable fraulein« verwandelt habe. Schwer zu entscheiden, ob es Ausdruck amerikanischer Bootcamp-Mentalität oder subtiler Zynismus war, wenn Life die zwei Jahre, die »Susanne« in den sowjetischen Kohlenschächten malocht hatte, für die positive Verwandlung vom Vorkriegspummelchen zu »120 pounds of muscled beauty« verantwortlich machte. Das »pretty fraulein« selbst ließ sich jedenfalls durch nichts beirren und blieb die nächsten Jahre in Germany und Mutter aller »Fräuleinwunder«
Ein Grund für den Erfolg, den Susanne Erichsen in den USA hatte, dürfte darin gelegen haben, dass sie dunkel- und kurzhaarig war und damit so ganz anders aussah als jene Gretchenperversionen, die in ihren BDM-Uniformen dem »Führer« zugejubelt hatten. Eher erinnerte sie an den »Flapper«, den Typus der kecken, selbstständigen Frau, der in den zwanziger Jahren alle westlichen Metropolen-Varietes bevölkert hatte.
Die Frivolität, das Morbide jener Nachtschattengewächse war dem Fräuleinwunder jedoch fremd. Trotz der ausgestellten Erotik signalisierte alles an ihr Entwarnung: Unter der schönen Oberfläche verbargen sich keine Abgründe, sondern einzig Ehrgeiz. Ihre Rundungen waren rasanter als die des VW Käfer - aber auch sie lud in der jungen Bundesrepublik zum knuddeligen Liebhaben ein. Das Fräuleinwunder war so abwaschbar wie die Plastikmöbel, die in den sechziger Jahren die deutschen Wohnzimmer eroberten. Keiner hat das hinreißender vorgeführt als Billy Wilder in seiner Kalte-Kriegs-Komödie Eins, Zwei, Drei, in der sich ein amerikanischer Coca-Cola-Manager im geteilten Berlin herumschlagen muss. Einziger Lichtblick zwischen all den Alt-Nazis und Neu-Sozialisten: das herzhafte »Fraulein Ingeborg«, das seinem Chef nach Feierabend bereitwillig Nachhilfe in Umlauten erteilt - vorausgesetzt, dieser ist bereit, ihr die eine oder andere Extrazulage in Form von Kleidern und Hüten zu zahlen.
Auch wenn das Fräuleinwunder sein Deutschsein nie verleugnet hat, im Gegenteil - sein innerer Kompass zeigte stets nach Westen. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Das Tennis-Fräuleinwunder Steffi Graf hat ebenso in die USA eingeheiratet wie Heidi Klum, das rheinländische Froh-Modell, das den Unterwäscheengel mit derselben Entschlossenheit verkörpert wie die Drill-Instruktorin, wohingegen die eher gretchenhafte Claudia Schiffer nur kurz dem Charme eines US-Magiers erlegen war, ihre Familie dann aber in England gründete. Das Fräuleinwunder ist die Luftbrücke, die Deutschland dem amerikanischen Traum errichtet hat.
»Like a satellite«. Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest 2010 in Oslo.
So gesehen war es blanker Unfug, als in den späten neunziger Jahren ein Spiegel- Feuilletonist die jungen Schriftstellerinnen, die in jener Zeit den deutschen Literaturbetrieb eroberten, als »Fräuleinwunder« etikettierte. Der zähe Optimismus, die Welt mit Fleiß erobern zu können, ist den Autorinnen von Karen Duve bis Judith Hermann so fremd, wie Las Vegas oder Beverly Hills fern sind. Will man partout nach Germany’s Next Top-Fräuleinwunder Ausschau halten, wird man Lena Meyer-Landrut ins Visier nehmen müssen. Zumindest amerikanische Germanistikstudenten können den
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