Die deutsche Seele
Dich wohl, dass ich Dich mehrmals gefragt habe, ob Du mit mir sterben willst? - Aber Du sagtest immer nein - Ein Strudel von nie empfundner Seligkeit hat mich ergriffen, und ich kann nicht leugnen, dass mir ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt.«
Elf Tage zuvor - sein Entschluss, mit Henriette Vogel zu sterben, stand bereits fest - hatte Kleist sich bei seiner Cousine ein letztes Mal über seine Schwester Ulrike beschwert, an der ihn, obwohl er ihr zeitlebens innig verbunden gewesen war, stets gestört hatte, dass sich »an ihrem Busen« nicht ruhen ließe, weil sie den Fehler besitze, eine »weibliche Heldenseele« und damit »zu groß für ihr Geschlecht« zu sein. Jetzt, in den Tagen vor seinem Tod dünkte ihm, »sie habe die Kunst nicht verstanden, sich aufzuopfern; ganz für das, was man liebt, in Grund und Boden zu gehen«. Der Dichter, dessen »jauchzende Sorge« es war, »einen Abgrund tief genug zu finden«, in den er mit seiner Todesgefährtin hinabstürzen konnte, erwies sich selbst als Abgrund.
Dennoch ist das Käthchen mit seiner »hündischen Dienstfertigkeit« mehr als die Ausgeburt eines erlösungstrunkenen Berserkers. Das zeigt eine Frau wie Henriette Vogel, die als eine der letzten schriftlichen Taten ihres Lebens die »Todeslitanei«, die Kleist mit »Mein Jettchen, mein Herzchen, m Liebes, m Täubchen, m Leben« begonnen hatte, mit »Mein Heinrich, m Süßtönender, m Hyazinthen Beet, m Wonnemeer« fortsetzte.
Gibt es - außerhalb des deutschen Theaters - jene versponnenen, aber wenn es darauf ankommt zu allem bereiten deutschen Mädchen heute noch? Die Käthchens dürften seltener geworden sein, seit die Abgründe zugeschüttet und die Romantik auf Kerzenlicht und Kuschelrock reduziert worden ist. Zwar glauben immer noch viele, den Mann mit ihrer Umarmung aus seinen Verstrickungen erlösen zu können - doch heute würde sich Heinrich von Kleist mit der Suche nach einer Sterbensgefährtin wohl noch schwerer tun als vor zweihundert Jahren. Ob die Grünenpolitikerin Petra Kelly im Herbst 1992 dem grünen ExGeneral Gert Bastian, der erst sie und dann sich mit seiner Derringer erschoss, tatsächlich in den Tod folgen wollte, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Häufiger sind die Gretchens, die davon träumen, dass ein prominenter Mann sie zu Glanz und Gloria trägt - und am Ende einsehen müssen, dass all ihre Hingabe sie nur selbst ins Elend gestürzt hat. Dann können sie versuchen, den Seelenverräter dem bigotten Zorn des Boulevards auszuliefern. Oder sie kapitulieren in stiller Einsamkeit.
»Es fällt mir sehr schwer, Dich nach 41 Jahren zu verlassen. Aber ein langes Siechtum in Dunkelheit will ich mir und Dir ersparen […] Meine Kraft ist nun zu Ende […] Ich danke Dir für ein Leben mit Dir und an Deiner Seite - voller Ereignisse, Liebe, Glück und Zufriedenheit. Ich liebe Dich und bewundere Deine Kraft. Möge sie Dir erhalten bleiben. Du hast noch viel zu tun. Dein Schlänglein.« Es ist der Abschiedsbrief, den Hannelore Kohl, die Gattin des ExBundeskanzlers Helmut Kohl, vor ihrem Selbstmord am 5. Juli 2001 geschrieben hat.
Es war die Zeit, in der (West-)Deutschland vom Wunderfieber befallen war. In den Ruinen des Nazi-Reiches begann die Wirtschaft in einer Weise wieder zu blühen, die niemand für möglich gehalten hätte. Im Berner Wankdorfstadion wurden die Deutschen am 4. Juli 1954 zum ersten Mal Fußballweltmeister - sagenhaft. Vier Jahre zuvor hatte, im Kurhaus von Baden-Baden die erste bundesrepublikanische Miss-Germany-Wahl stattgefunden, auch dies ein gesellschaftliches Großereignis, von dem die Wochenschau berichtete. Die Gewinnerin hieß Susanne Erichsen. Die damals 24-jährige Berlinerin, deren Stiefvater ihr im »Dritten Reich« verboten hatte sich zu schminken, weil ein anständiges deutsches Mädel so etwas nicht tat, war von den Russen nach Kriegsende in ein Arbeitslager verschleppt worden. Erst 1947 kehrte sie nach Deutschland zurück. In München bekam sie erste Angebote als Fotomodell, das Hungern wurde von der Not zur Tugend erhoben. 1952 durfte sie als »Botschafterin der deutschen Mode« in die USA reisen, die Karriere des »Fräuleinwunders« begann.
Eigentlich ist der Begriff irreführend. Wundersam waren die stets gefährdeten Gretchens und Käthchens, nicht aber jene patenten, auf zwei eigenen - schlanken, langen - Beinen stehenden Fräuleins, die sich in der Nachkriegszeit mit untrüglichem Erfolgsgespür nach oben
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