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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Herzens beschützt werden wollen - und für männliche, in denen sich noch der alte ritterliche Geist regt. Der Mann, der sich wie Faust unrettbar verstrickt sieht und auf Erlösung hofft, muss sich nach anderen deutschen Mädchen umschauen. (Oder viele tausend Verse Geduld haben - auf die Gefahr hin, am Schluss von Faust II nicht mit Bestimmtheit sagen zu können, warum ihn das Ewigweibliche jetzt plötzlich doch noch hinangezogen hat.)
    Wer sichergehen will, den großen Liebestod dargeboten zu bekommen, muss in die Oper. Zu Richard Wagner. Dort hat er die freie Wahl, ob er dem Fliegenden Holländer und Senta, Tannhäuser und Elisabeth oder gleich Tristan und Isolde beim gemeinsamen Dahinscheiden zuschauen möchte. Dass die Darstellerinnen der jeweiligen Rollen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit weniger mädchen- als matronenhaft daherkommen werden, liegt einzig daran, dass sich gewaltige Stimmen leider nur selten in zarte Körper verirren. Richtiger wäre es, wenn selbst die Wagnerschen Walküren von ekstatischen Mädchen gesungen würden.
    Eine bis zur Transparenz fragile Darstellerin erlebt mit Sicherheit, wer sich im Theater Heinrich von Kleists Kätheben von Heilbronn anschaut. Auf den ersten Blick sieht diese dem Gretchen zum Verwechseln ähnlich, doch der Augenschein trügt. Kleists Käthchen verhält sich zu Goethes Gretchen wie die Stalkerin zur verfolgten Unschuld. Zwar stellt ihr Vater sie zu Beginn des Stücks als ein Wesen vor, das sich zarter, frommer und lieber nicht denken ließe - allerdings nur bis zu jenem Tag, an dem sie dem Grafen Wetter vom Strahl begegnet ist. Obgleich dieser nichts von ihr wissen wolle, folge sie ihm seither wie ein Hund, »der von seines Herren Schweiß gekostet«. Als sei sie die fiktive (und noch etwas masochistischere) Zwillingsschwester der realen Bettine Brentano, die sich in Teplitz zu Füßen ihres Idols Goethe gebettet haben will, bestätigt das Käthchen, dass sie sich vom Grafen mehrfach habe treten lassen und selig sei, wenn sie unterhalb seiner Burg im Holunderstrauch nächtigen dürfe. Über die Gründe ihres Liebeswahns schweigt sie sich aus: »Was in des Busens stillem Reich geschehn, und Gott nicht straft, das braucht kein Mensch zu wissen.« Erst spät im Stück erfahren wir, dass sie dem Grafen im Traum begegnet sei und dies ihr die Gewissheit gegeben habe, für ihn bestimmt zu sein.
    Wenigstens vordergründig nimmt Das Käthchen von Heilbronn ein gutes Ende: Auch der Graf erkennt schließlich, dass nicht das Edelfräulein, das zu heiraten er im Begriff ist, sondern sie diejenige war, die ihm im Traum erschienen ist. Tränen. Hochzeit.
    Ohne Tränen und ohne Hochzeit endete Heinrich von Kleist selbst. Am 21. November 1811 schoss der Dichter am Berliner Kleinen Wannsee seiner Freundin Henriette Vogel ins Herz und sich in den Mund. Die Wirtsleute, die den beiden zuvor noch einen Imbiss ins Freie gebracht hatten, berichteten, dass sie selten zwei Leute gesehen hätten, »die so freundlich zusammen gewesen wären«. Hand in Hand, »schäkernd und sich jagend, als wenn sie Zeck spielten«, seien die Todeskandidaten zum See hinuntergelaufen. Unklar ist, ob die 31-jährige Henriette Vogel dem Doppelselbstmord zugestimmt hatte, weil sie unheilbar an Krebs erkrankt war, oder ob es sich um einen echten Acte gratuit gehandelt hatte, den 34-jährigen Dichter ins Jenseits zu begleiten.
    Den letzten Brief, den Henriette Vogel in der Nacht vor ihrem Tod an einen gemeinsamen Freund schrieb, hätte ihr jedenfalls das Käthchen eingeflüstert haben können: »Ihrer Freundschaft […] ist es vorbehalten, eine wunderbare Probe zu bestehen, denn wir beide, nämlich der bekannte Kleist und ich, befinden uns […] auf dem Wege nach Potsdam, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen da liegen, und nun der Güte eines wohlwollenden Freundes entgegensehen, um unsre gebrechliche Hülle der sichern Burg der Erde zu übergeben.«
    Kleist wiederum hatte sich in derselben Nacht im Gasthaus am Wannsee hingesetzt, um einen letzten Brief an seine geliebte Cousine Marie zu verfassen: »Kann es Dich trösten, wenn ich Dir sage, dass ich diese Freundin [gemeint ist Henriette Vogel] niemals gegen Dich vertauscht haben würde, wenn sie weiter nichts gewollt hätte, als mit mir leben? […] Der Entschluss, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kann Dir nicht sagen, mit welcher unaussprechlichen und unwiderstehlichen Gewalt, an ihre Brust; erinnerst Du

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