Die deutsche Seele
Hit Satellite, mit dem der aufgekratzte Teenager aus Hannover den Eurovision Song Contest 2010 gewann, schon mitsingen.
Um den deutschen Mann um den Verstand zu bringen, ist es offensichtlich hilfreich, wenn jede Silbe des eigenen Namens mit einem »1« beginnt. Bessere Chancen als Circe, Carmen, Salome, in den Reigen der wollüstig Gelallten aufgenommen zu werden, hätten demnach Lolita, Lilith oder Lili Marken - Letztere vor allem, wenn sie von Laie Andersen gesungen wird.
Die Infantilität der Namen ist kein Zufall. Die Lulus, Lolas, Loreleys stürzen den Mann zwar ebenso zuverlässig ins Verderben, wie es die französischen Femmes Fatales oder die amerikanischen Vamps tun. Anders als ihren gerissenen Schwestern unterstellt den kindlichen Verführerinnen jedoch nicht einmal der Mann, der sich in ihren Netzen verfangen hat, ein bewusstes Vernichtungskalkül.
Der armen Loreley bereitet es kein Vergnügen, die Männer reihenweise im Rhein ertrinken zu lassen; gern wäre sie von dem Fluch erlöst, der auf ihr liegt. »Groß ist der Männer Trug und List, / Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist, / Wohl irrt das Waldhorn her und hin, / O flieh, Du weißt nicht, wer ich bin!« So lässt Joseph von Eichendorff seine Loreley den nächtlichen Reitersmann warnen, der spontan beschlossen hat, die »schöne Braut« heiraten zu wollen.
Biblisch-archaischer führt Frank Wedekind seine Lulu ein. Im Prolog der »Monstretragödie« tritt ein Tierbändiger samt Schlange auf - die natürlich von niemand anderem als von Lulu dargestellt wird -, um zu verkünden: »Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften, / Zu locken, zu verführen, zu vergiften - / Zu morden, ohne dass es einer spürt. / Mein süßes Tier, sei ja nur nicht geziertl I Nicht albern, nicht gekünstelt, nicht verschroben, I Auch wenn die Kritiker dich weniger loben. / Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen / Die Urgestalt des Weibes zu verstauchen, / Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden / Des Lasters Kindereinfalt zu verleiden.«
Als Lulu später im Stück gefragt wird, was sie den ganzen Tag so treibe, seit sie zu Reichtum gekommen, antwortet die Kindfrau, der ein Medizinalrat, ein Kunstmaler, ein Chefredakteur und eine Gräfin zum Opfer fallen: »Ich liege und schlafe […] Und strecke mich - bis es knackt.«
Dieselbe laszive Unschuld legt die »fesche Lola« an den Tag. Regisseur Josef von Sternberg traf die erste brillante Entscheidung, als er sich von Frank Wedekind inspirieren ließ und in seinem Blauen Engel aus der Barfußtänzerin »Rosa Fröhlich« - wie sie im Roman von Heinrich Mann heißt - die Tingelsängerin »Lola Lola« machte. Die noch brillantere Entscheidung traf er, als er seine »Lola Lola« mit Marlene Dietrich besetzte.
In späteren Interviews erzählte diese immer wieder, wie es ihr gelungen war, die begehrte Rolle zu ergattern, obwohl sie damals als Schauspielerin bestenfalls zur C-Prominenz gehört hatte: durch lässig zur Schau gestellte Ehrgeizlosigkeit. Weil sie angeblich ohnehin nicht damit gerechnet hatte, für die Hauptrolle in Frage zu kommen, habe sie sich auf die Probeaufnahmen nicht vorbereitet, sondern sich einfach ans Klavier gelehnt und irgendetwas geträllert. Auch Sternberg bestätigt in seinen Memoiren, dass die Frau, die er im Jahre 1929 nach Babelsberg bestellt hatte, kein »Tiger«, sondern die »verkörperte Gleichgültigkeit« gewesen sei. Damit hatte Marlene - zum anfänglichen Entsetzen des Produzenten und ihres Filmpartners, des berühmten Emil Jannings - gewonnen.
»Die schönste Jungfrau sitzet / Dort oben wunderbar …« Lorely, Gemälde von Wilhelm Kray, um 1878.
Sternberg war der Einzige, der von Anfang an spürte, was die Welt erst erkannte, als der fertige Film in die Kinos kam: Keine hätte die Sumpfblüte, die den biederen Kleinstadtprofessor (Un)Rath ganz nebenbei so betört, dass dieser sich zum Variete-Gockel erniedrigt, besser gespielt als die schnodderige Leutnantstochter, die bis zuletzt jede pompöse Frage nach ihrer Karriere mit einem verächtlichen »Nein, also wirklich« an sich abperlen ließ. Keiner hätte man lieber geglaubt, dass Männer sie umschwirren wie Motten das Licht, und wenn sie verbrennen, ja dafür kann sie nichts - wie es im zum Ohrwurm verkommenen Lied von Friedrich Hollaender heißt.
So wie die schöne Seele kein anderes Verdienst hat, hat die verruchte Seele keinen anderen Makel als den, zu sein. Nur dass Erstere harmonisch in sich ruht, während die andere
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