Die deutsche Seele
neckisches Kinderspiel, will er, der die Amazone zwischenzeitlich im Kampf bewusstlos geschlagen hatte, sich nun zum Schein von ihr besiegen lassen. Doch Penthesilea kommt jegliche Niedlichkeit abhanden, als sie aus ihrer Ohnmacht erwacht und begreift, wie die Machtverhältnisse in Wahrheit aussehen. Schlimmer noch als die Schmach, besiegt worden zu sein, ist die Schmach, dass der Held ihr einen faulen Sieg schenken will. Die »halb Furie, halb Grazie« verwandelt sich in eine »rasende Megär«, die all ihre Hunde und Elefanten auf Achilles hetzt, um sich am Schluss selbst in ihn zu verbeißen: »Küsse, Bisse, / Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, / Kann schon das eine für das andre greifen.« Der blutigste Liebestod, den das deutsche Theater kennt, endet damit, dass sich die stolze Amazone selbst erdolcht, dem Fleisch hinterherstirbt, zu dem sie den Auserkorenen zerfetzt hat.
Nicht viel besser ergeht es Siegfried und Brünnhilde bei Richard »Wagner im Ring des Nibelungen. Anders als Kleist gönnt der Komponist seinem urgermanischen Heldenpaar zunächst ein rauschendes Liebesfest. Doch dann zieht Siegfried in die Welt hinaus, »vergisst« seine Brünnhilde und will plötzlich Gutrune, die Schwester des Gibichungenkönigs Gunther, heiraten. Dieser wiederum will keine andere als Brünnhilde zur Frau nehmen - ein aussichtsloses Unterfangen, da er selbst viel zu schwach ist, die Walküre aus eigener Kraft zu erobern. Der unter Gedächtnisschwund leidende Siegfried erklärt sich bereit, im Schutze seiner Tarnkappe die ehemalige Geliebte für den schlappen König zu freien - wenn dieser ihm im Gegenzug seine Schwester überlässt. Die Intrige scheint zu klappen, bis Gunther Brünnhilde an seinen Hof schleppt, wo diese zu ihrem Entsetzen auf Siegfried trifft, der mit Gutrune bereits in Hochzeitsvorbereitungen schwelgt. Die doppelt gedemütigte Walküre durchschaut, dass es in Wahrheit nicht Gunther war, sondern nur ihr Held Siegfried gewesen sein kann, der sie überwältigt hat, und sinnt auf Rache. Nicht selbst legt sie Hand - oder Zähne - an den Geliebten, sondern begnügt sich damit, dem finsteren Nibelungensohn Hagen zu verraten, welches die einzige Stelle ist, an der Siegfried tödlich verwundbar ist. Der nutzt seine Chance und sticht hinterrücks zu. Am Ufer des Rheins errichtet Brünnhilde dem gemeuchelten Helden einen würdigen Scheiterhaufen. Samt Schlachtross folgt sie dem Leichnam in die Flammen.
Treu bis in den Tod. Amalia Materna als Brünnhilde samt ihrem Ross Grane in der Bayreuther Uraufführung des Ring des Nibelungen, 1876.
Weder im mittelalterlichen Nibelungenlied noch in Friedrich Hebbels großer Nibelungen-Tragödie wäre Brünhild bzw. Brunhild, wie sie dort heißt, auf den Gedanken gekommen, Siegfried in den Tod zu folgen. Erst Wagner unterwirft die nordische Sagengestalt einer romantischen Rosskur und macht sie damit größer und kleiner zugleich. Aus dem »herrlichen Weib«, das so kühn und stark ist wie kein Weib zuvor, macht Wagner ein »heiliges Weib«. Seine Brünnhilde herrscht nicht als Königin auf Island, die schon zig Männer in den Tod geschickt hat, weil sie nur bereit ist, den zu heiraten, dem es gelingt, sie im Felsblock-Weitwurf, im Weitsprung und im Speerwerfen zu besiegen, und alle, die ihr unterliegen, sterben müssen. Wagners Brünnhilde ist die (uneheliche) Lieblingstochter von Göttervater Wotan. Sie fordert keine Recken zum sportlichen Wettkampf heraus, sondern geleitet als Walküre gefallene Kriegshelden nach Walhall. Sich überhaupt einem Manne hingeben zu müssen - dazu verdammt erst Wotan sie als Strafe für Ungehorsam. Bei Wagner liegt es nicht mehr in Brünnhildes eigener Kraft oder Macht, sich den vom Leibe zu halten, der sie entjungfern will: Wotan hat sie in wehrlosen Tiefschlaf versetzt, und nur weil er sie trotz seines Zorns immer noch liebt, umgibt er den Felsen, auf dem sie schläft, mit einem Feuerkreis und stellt sich selbst als Wächter auf. Nicht der Held, der die Walküre im Kampf bezwingt, soll ihr Gatte werden, sondern der, dem es gelingt, den Göttervater zu überwinden. Natürlich ist dieser Held niemand anderer als Siegfried, Wotans (gleichfalls unehelicher) Enkel. Lange bevor einer der Beteiligten etwas von der Intrige ahnt, die am rheinischen Königshof gesponnen werden wird, sinken sich Tante und Neffe in die Arme.
Auch wenn wir heute beim Begriff »Walküre« in erster Linie die körperlich robusten Wagner-Sängerinnen samt Helm,
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