Die deutsche Seele
nichts als Chaos ist. Der Maler Schwarz verzweifelt bei dem Versuch, Lulu zu porträtieren: »Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. - Es war mir kaum möglich, einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.«
»Und wenn sie verbrennen, / Ja, dafür kann ich nichts.« Marlene Dietrich zur Zeit des Blauen Engels.
Die Ruhe der schönen Seele überträgt sich auf alle jene, die in ihrem Dunstkreis weilen; Lulu/ Lola reißt alle, die ihr zu nahe kommen, in ihren Strudel mit hinein. Dazu braucht sie keine raffinierten Tricks und Maskeraden. Der Glittertüll, in den sie sich gelegentlich hüllt, ist nichts als Dekoration. Zur Leinwandgöttin mit der perfekten Körpersilhouette, deren Gesicht im magischen Halbschatten, an einen Pelz geschmiegt oder hinter Schleiernetz verborgen, lag, stilisierte Sternberg Marlene Dietrich erst in Hollywood. Auch die Tänzerin und Schauspielerin Anita Berber, die schon vor Marlene Dietrich im Frack bzw. Smoking das Berlin der zwanziger Jahre aufmischte, bewirkte die größten Tumulte nicht, wenn sie im prächtig-knappen Kostüm des Revuegirls auftrat, sondern wenn sie ihre »Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase« nackt aufführte.
Die deutsche Verführerin ist im Grunde ihres Wesens ein »Erdgeist« - wie Frank Wedekind den ersten Teil von Lulu nannte. Das Gedicht, das er dem Ganzen vorangestellt hat, beginnt mit: »Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur, / Und zu der Erde zieht mich die Begierde. / Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht / Dem guten.«
Auch das unholde Weib ist »reine« Natur - allerdings nicht im Sinne des wohlgeordneten Kosmos, der sich in der schöne Seele spiegelt. Jenes lockt aus der chaotischen Tiefe, und nur der wird es erringen, der den Mut besitzt, sich in den Abgrund hinunterzustürzen. Dass seine Seele sich dabei beflecken und sein Sieg ihn vernichten wird, gehört zum verbotenen Zauber.
Auch die Gretchens und Käthchens sind von Zopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Bei ihnen bedeutet dies stets: Hingabe an den auserwählten Einen. Die Verführerin dagegen verausgabt sich wahllos: »Was bebt in meinen Händen, / In ihrem heißen Druck? / Sie möchten sich verschwenden, / Sie haben nie genug«, singt Marlene in ihrer Szene aller Szenen, in der sie mit burschikos übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Weinfass hockt. Die Blicke, die sie dabei dem »Professorchen« zuwirft, verheißen zwar auch Erlösung: aber nur für eine Nacht. Oder zwei. Ein Erdgeist lässt sich nicht in fixen Hausrat verwandeln. Wenn der Mann dies begreift, ist es zu spät. Alle Versuche, in die bürgerliche Haut, aus der er endlich einmal fahren durfte, wieder hineinzuschlüpfen, scheitern: Sie ist ihm zu eng geworden. Und so stirbt er einsam, bis aufs Blut entblößt, während der blaue Engel von den nächsten Männermotten umschwirrt wird.
Als die junge Schauspielerin Ulrike Folkerts alias »Lena Odenthal« 1989 ihre Karriere als mittlerweile dienstälteste Tatort-Kommissarin antrat, durfte sich »die Neue« gleich zu Beginn ein Bogenschießduell mit dem Mann liefern, der im Verdacht stand, der gesuchte Vergewaltiger und Sexualmörder zu sein. Bei ihrer nächsten Begegnung begrüßte dieser sie als »Penthesilea von der Sitte«.
Wenn schon die emanzipierte schöne Seele Goethe als »Amazone« erschienen war, so entkam hierzulande bis in die jüngste Zeit keine halbwegs ungezügelte Frau dieser Bezeichnung, in der sich Abscheu und Ehrfurcht eigenwillig vermählen.
»Wer bist du, wunderbares Weib?«, lässt Heinrich von Kleist in seiner Penthesilea den staunenden Achilles fragen, der es nicht fassen kann, dass er und seine Mannen, die doch eigentlich damit beschäftigt sind, Troja zu erobern, plötzlich von einem Heer kriegerischer Weiber angegriffen werden. Die Amazonenkönigin, die sich in den Kopf gesetzt hat, den »jungen trotzgen Kriegsgott« als Bräutigam zu bändigen, antwortet: »Sie ist mir nicht, / Die Kunst vergönnt, die sanftere, der Frauen! […] Im blutgen Feld der Schlacht muss ich ihn suchen, / Den Jüngling, den mein Herz sich auserkor, / Und ihn mit ehrnen Armen mir ergreifen, / Den diese weiche Brust empfangen soll.«
»Dies wunderbare Weib, halb Furie, halb Grazie, sie liebt mich!«, jubelt der griechische Edelkrieger, der zu Beginn der Geschlechterschlacht noch geschworen hatte, Penthesilea »die Stirn bekränzt mit Todeswunden« häuptlings durch die Straßen zu schleifen. Und als sei’s ein
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