Die deutsche Seele
zur verlorenen Tragödie Leonore Prohaska des restlos vergessenen Friedrich Duncker im Ohr haben) niemand mehr. Ebenso wenig wie an Friederike Krüger, die es als »August Lübeck« ebenfalls in den Befreiungskriegen sogar bis zum preußischen Unteroffizier brachte und mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet wurde, obwohl sie während einer Schlacht als Frau enttarnt worden war.
Zu einer positiven, »feministischen« Aneignung der Walküren- und Amazonen-Figur, die sich ihren Weg gegen alle männlichen Widerstände ertrotzt, kam es gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Oktober 1899 fand in München der erste Bayerische Frauenkongress statt, der unter anderem von den Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg und Minna Cauer organisiert worden war. Zum feierlichen Höhepunkt warfen sich einige der Damen in Walkürenharnisch, setzten sich antike Helme auf und umfassten Schwert und Speer, um zu deklamieren: »Es lebe die Freiheit, es lebt, wer gewann / Im Kampfe den Sieg, im Siege den Mann! / Und ist er besiegt, so ist er uns Knecht, / Wir schaffen uns selber unser Recht.«
Aber es gab auch versöhnlichere Versuche von Frauen, die Amazone aus dem Panzer der Unterwerfungslogik zu befreien: Im Jahre 1760 hatte die sächsische Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis eine Kammeroper mit dem Titel Talestri, Regina delle Amazzoni (Talestris, Königin der Amazonen) komponiert, die drei Jahre später in Dresden durch Mitglieder der kurfürstlichen Familie uraufgeführt wurde, wobei Maria Antonia es sich nicht nehmen ließ, selbst die Hauptrolle zu singen. Zum Ende der Oper muss sich die Amazonenkönigin weder von dem Mann besiegen lassen, den sie liebt, noch muss dieser sich ihr geschlagen geben, sondern beide herrschen gemeinsam als aufgeklärtes Monarchenpaar.
»Sie sind die Frau von morgen, die Frau, die erst kommen wird! Erkennen Sie Ihre Bestimmung, Ihnen ist es vorbehalten, eine neue Beziehung zwischen Mann und Frau, eine neue herrliche Ära gemeinsamen Schaffens heraufzuführen!« So überschwänglich wird Penthesilea durch Odysseus in der Komödie Amazonen von Ilse Langner begrüßt. Auch die Schriftstellerin, die 1899 in Breslau geboren wurde und einer glücklosen Ehe nach Berlin entfloh, wo sie bald erste Erfolge als Dramatikerin feierte - der Kritiker Alfred Kerr nannte sie »Penthesilea Langnerin« -, wollte in ihrem Stück den Männerherrschaftsspieß nicht einfach in Richtung Frauenherrschaft umdrehen. Dennoch ist sie skeptischer als die idealistische Kurfürstin, dass sich Amazonentum und Liebe so einfach werden versöhnen lassen. Im Prolog stellt ein biederer preußischer Regierungsassessor namens Alfred seine summa cum laude promovierte Verlobte namens Pentha vor die Wahl, ob sie ihren Beruf ausüben oder von ihm geheiratet werden will. Zur Antwort reißt sich die Medizinerin den Hut herunter, zerrt an ihren Kleidern und ruft das wilde Heer der Amazonen herbei: »Ja, Amazonen! […] Ich habe sie immer als meine Urschwestern gesehen, kühn und tapfer, nicht abhängig vom Mann, sie schlagen sich selbst durch, sie kämpfen, sie sterben lieber, als dass sie sich gefangen geben - ich bin ja nicht allein, wir Frauen sind ja schon ein kleines Heer, es wird wachsen, ihr werdet es noch erleben, die Amazonen marschieren. Hört ihr’s?«
Im eigentlichen Stück sehen die Amazonen dann allerdings weniger heroisch aus. Zwar gelingt es ihnen zu Beginn, Athen in ihre Gewalt zu bringen - die Männer sind abgelenkt, weil sie Olympiade gucken -, doch demselben Odysseus, der Penthesilea als die »Frau von morgen« preist und die herbe Kriegerin attraktiver findet als die »aufgeputzten Hausputen« der griechischen Metropole, gelingt es, den Amazonen den Schneid abzukaufen. Er lässt ihnen Schmuck und prächtige Kleider bringen, und siehe da: Als hätten sie die einflussreiche Studie des Schweizers Johann Jakob Bachofen über Das Mutterrecht von 1861 gelesen - in welcher der Historiker das Ende des Amazonentums damit erklärt, dass die erschöpften Kriegerinnen freudig in den gesicherten Hafen der Ehe eingekehrt seien -, verwandeln auch sie sich von freien Adlern in Ziervögel und Glucken. (Etwas Ähnliches sollte nach dem Zweiten Weltkrieg mit den »Trümmerfrauen« geschehen, die sich von ihren Männern - so diese denn aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten - gern wieder in die Rolle des Heimchens drängen ließen.) Am Schluss bleibt Penthesilea nichts anderes übrig, als sich mit dem harten Kern der Amazonen und ohne Männer
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