Die deutsche Seele
ist zwar längst nicht mehr deutsch, aber immer noch ewig. Das Argument heute: Eichenholz käme ohne chemischen Holzschutz aus. Das gilt aber auch für die Douglasie. Würden Sie der Eiche die Douglasie vorziehen?
In Wirklichkeit geht es gleichermaßen um das Holz und um den Lehm, um die Verbindung zwischen Holz und Lehm. Hier scheint die Magie zu sitzen, die das Wohnen nun mal braucht. Oder, wie man heute sagt, die Wohnqualität.
Das alles entspricht den Mittelstands-Wertvorstellungen. Sie lassen Bio-Ei und L’Oreal kompatibel erscheinen. Auch die Joghurt-Werbung passt gut ins Fachwerkhaus: Sie zeigt eine Patchwork-Familie beim Frühstück mit Wohngefühl.
Den neuen Umgang mit dem Fachwerkhaus als Ausdruck der Akzeptanz unserer Geschichte zu betrachten, wäre sicherlich verwegen. Trotzdem ist es eine stillschweigende Wiedergutmachung des Ortes dieser Geschichte. Man kann Fachwerkhaus sagen und Tradition meinen, deutsche Tradition, ohne es ausdrücklich sagen zu müssen. So, wie man Öko sagt und Heimat meint, ohne dass es einem auffällt.
>Arbeitswut, Bauhaus, Doktor Faust, Gemütlichkeit, Mittelgebirge
Fahrvergnügen
Fahrvergnügen ist motorisierte Wanderlust.
Halt!, ruft’s da aus der Landschaft, alles falsch! Was seht ihr denn, wenn ihr in euren Stinkekarren durch mich hindurchrast? Keine Blume riecht ihr mehr, keinen Vogel hört ihr. Eure Motoren knattern, eure Scheinwerfer blenden, und ich verkomme zur Fototapete, die an euch vorüberwischt.
Die Landschaft ist konservativ, das ist ihr gutes Recht. Aber stimmt es, dass die Autofahrerei uns allesamt in blinde Raser verwandelt hat?
Auch der Wanderer bleibt nicht an jedem Heideröslein stehen, wenn er vor Einbruch der Dunkelheit die Schenke erreichen will. Und wie viele Deutsche lieben ihr Auto nicht deshalb, weil sie mit ihm hinausfahren können ins Grüne - an Orte, an die sie keine Bahn mehr bringt? Eine Fahrt auf kleinem Sträßchen an der Ostseeküste oder am Alpenrand entlang, noch dazu mit offenem Verdeck, bleibt Landschaftsanbetung. Selbst auf der Autobahn bei Tempo zweihundert kann einen der Zauber überfallen, wenn die Sonne im Westen ihr Lichtspiel treibt. Der Taugenichts wäre heute nicht zu Fuß, sondern in einem klapprigen VW-Bus unterwegs gen Süden.
Hermann Hesse hätte eingestimmt in die Litanei der preisgegebenen Landschaft. Der Schriftsteller, ein passionierter Wanderer - der sich bei seiner Indienreise allerdings gern in der Rikscha ziehen ließ -, träumte von einer »Hochjagd auf Automobile«. In seinem Steppenwolf lässt er auf »Luxuswagen« schießen in der Absicht, »die fetten, schöngekleideten, duftenden Reichen, die mit Hilfe der Maschinen das Fett aus den andern pressten, samt ihren großen, hustenden, böse knurrenden, teuflisch schnurrenden Automobilen totzuschlagen, endlich die Fabriken anzuzünden und die geschändete Erde ein wenig auszuräumen und zu entvölkern, damit wieder Gras wachsen, wieder aus der verstaubten Zementwelt etwas wie Wald, Wiese, Heide, Bach und Moor werden könne«.
Auf Drängen seiner dritten Ehefrau Ninon schaffte sich der Schriftsteller - und mittlerweile Nobelpreisträger - in den späten vierziger Jahren das erste eigene Automobil an, das nur kurze Zeit ein unspektakulärer Standard Fourteen war und dann einem stattlichen Mercedes Ponton wich. Von seiner fahrfreudigen Gattin ließ sich der 72-Jährige über den Julierpass chauffieren, den er wie so viele andere Alpenpässe in jüngeren Jahren zu Fuß überquert hatte. Wirklich Frieden machen mit der neuen Fortbewegungsart wollte der Wanderer indes nicht. Auf seiner Reise reimte er: »Müd, aber streng und scharfgeschnitten / Zieht lang der Straße Band inmitten, / Einst Heer- und Pilgerweg, und jetzt / Von schnurrenden Maschinen abgewetzt / Mit Menschen drin, die alles hätten, / Sich aus dem Lärm ins Sommerglück zu retten, / Nur keine Zeit, nur keine Zeit.«
Hätte ein anderer Dichterkollege diese Zeilen vernommen - er hätte hohnlachend Gas gegeben und den nostalgischen Fahrgast samt Hut in einer Staubwolke stehen lassen. Zwar hätte auch Bertolt Brecht nichts dagegen gehabt, die »fetten, schöngekleideten, duftenden Reichen« aus ihren »Luxuswagen« herauszuschießen - im Unterschied zu Hermann Hesse hätte er sich aber ohne Bedenken selbst hinters Steuer der erbeuteten Karossen geschwungen. 1926 konnte sich der Autor von Baal und Mann ist Mann sein erstes Auto leisten - einen gebrauchten englischen Daimler, der allerdings
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